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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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hatten ihn ein wenig gehasst, weil er ihnen zu ähnlich war. Wenn man ihn im Fernsehen sah, beim Interview, wie er rot wurde vor Scham und Stolz, wenn er nach seiner Freundin gefragt wurde, dann fand man ihn immer noch nett, aber es war einem unwohl dabei. Er wusste keine rechte Antwort, kratzte sich an der Nase, murmelte einen halbwegs korrekten Standardsatz, blickte schräg am Interviewer vorbei, kratzte sich wieder an der Nase, wusste noch immer keine rechte Antwort, kicherte blöd. Man wollte nicht wie er sein, denn man wollte nicht wie man selbst sein. Nie hatte das jemand ausgesprochen, ich auch nicht, aber ich dachte es, während ich in meiner Grube unten malochte und mir den Schweiß von der Stirn wischte.
    Es kam einem in jenen Tagen vor, als ob die Zeit stillstehen würde. Die Gluthitze, das Warten auf den Regen, das ständige Gefühl leichter Betrunkenheit. Die Meteorologen, diese allabendlichen Tunichtgute am Schluss der Tagesschau, erlangten den Rang von Chirurgen, Kartellüberwachern, Richtern. Jeden Tag saß man vor dem Fernseher und wartete auf ihre Show. Hier in der Gegend lief eine ganz andere Show, nicht weniger töricht als die der Meteorologen. Huber senior bewässerte mitten in der Nacht seinen Garten und glaubte, niemand höre es. Unbekannt lud per Handzettel ein zur »Fidelen Sommernachts-Party mit Begleitung und/oder Anhang. Ort wird noch bekanntgegeben«. Ein dorfbekannter Herumtreiber wurde tot aufgefunden, die Polizei konnte Mord nicht ausschließen. Ich fragte mich, ob wir uns am Ende alle gegenseitig abmurksten, wenn das so weiterging mit dieser Hitze. Und als ich eines Morgens wegen der schwieligen Hände kaum weitergraben konnte, dachte ich, dass Sprengen vielleicht doch die Lösung war. Jetzt, wo es nicht mehr drauf ankam, könnte ich gleich den ganzen Garten umsprengen, den Fels hervorholen, und mir fiel der Hooligan ein, der die Fabrik in die Luft gejagt hatte. Das hätte zu meinem Sohn gepasst, dachte ich. Mit einem Riesenknall seine eigene Verwilderung besiegeln. Vielleicht würde er es eines Tages noch tun.
    Die tropischen Nächte nahmen kein Ende, aber ich bekam davon nicht mehr viel mit. Meine Frau hatte ich schon lange nicht mehr gesehen, die Stimmen hinter der Hecke hörte ich auch nicht mehr. Ich grub nur noch. Der Abraum blieb bei mir im Loch und machte dasselbige immer schmaler.
    Wie war der Nette wirklich gewesen? Je weiter ich mich von der Erdoberfläche entfernte, desto besser verstand ich ihn. Vor langer Zeit, stellte ich mir vor, hatte er sich selbst gemocht, aber sein neues Selbst, das im Fernsehen zu bestaunen war, das kichernde, murmelnde, sich an der Nasenspitze kratzende, hatte er längst zu hassen begonnen. Er hasste es genauso wie die Menschen, die sich um ihn scharten, genauso wie die Frau an seiner Seite, die ihn einmal die Woche ranließ und die übrige Zeit dafür sorgte, dass er immer proper auf dem Tennisplatz stand.
    Wo war er hingegangen? Niemand hatte das Anrecht, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Der Nette war jetzt der ehemals Nette. Er war jetzt irgendwo, dort oder hier, jedenfalls an einem Ort, wo er sich selbst mögen durfte, wo jene Wünsche auf ihn warteten, über die er noch nichts wusste. Dass er sich nie mehr blicken ließe!
    Das Tageslicht drang kaum noch bis zu mir hinunter. Ich wusste nicht, wo mein Weg endete, aber ich war sicher, dass es bald so weit war. Bald wäre ich dort, wo ich meinen Frieden hatte, wo es keinen Schwachsinn und keine verwildernden Kinder mehr gab, wo ich für immer verstummen durfte.

Finten
    Man wusste nie, wann es so weit war. Von einer Sekunde auf die andere konnte Igor verstummen, und Manu schloss sich ihm sofort an. Als ob sie einen Geheimcode hätten. Klugscheißer, dachte Fred. Zugegeben, Igor war tatsächlich der Klügste von ihnen. Er konnte endlos lange Sätze bilden und wusste immer, wann man besser aufhörte mit Herumblödeln im Klassenzimmer. Manu war auf seine eigene seltsame Art klug, vielleicht eher gescheit, aber auf seltsame Art. Dennoch ging Fred das alles gehörig auf die Nerven.
    Viertletzter Schultag. Sie saßen im Freysinger’schen Dreieck von Kirschbaum, Opel und verwildertem Garten. Wütend warf die Sonne ihr Licht von sich, und das Dorf ließ einzelne Geräusche hören, spitz wie ein Fingerknacken: Ein Hund erlitt einen Bellanfall, sein Herrchen belferte zwei Silben in die Luft, ein Motorrad feuerte drei Kanonenschüsse ab. Igor und Manu schwiegen. Fred war sauer.
    »Keine Ahnung

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