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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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haben sie, diese Versager. Sie wissen gar nichts«, begann er. Igor und Manu verharrten in ihrer Schweigstarre. »Laufen ihr die ganze Zeit hinterher, diese Psychos, und kapieren nicht, was sie will.« Fred schaute in den Baum hoch und pflückte die Wünsche der Unausgesprochenen von den Ästen. »Kein Wunder. Man muss eben eine gewisse Reife haben, um sie zu verstehen. Aber wem erzähle ich das, ihr wisst nicht einmal, worum es geht, ihr Nulpen.« Ihm war nicht ganz klar, was er mit Reife sagen wollte, doch etwas anderes fiel ihm nicht ein.
    »Ich weiß schon, was ihr denkt. Aber Renate ist anders. Sie will das alles nicht, was sie hat.«
    Fortgesetztes Doppelschweigen.
    »Schwachköpfe!«
    Fred stand auf und kämpfte sich durch die Vegetation in Freysingers Garten. Bärenklau und Löwenzahn flogen durch die Luft.
    »Mann, so werden wir noch in tausend Jahren hier sitzen. Und wenn ihr den ganzen Tag diese Quengelfratzen ziehen wollt, bleibe ich nächstes Mal gleich zu Hause.«
    Es war alles andere als eine Quengelfratze, die Igor zog. Fred wusste das. Igors Gesicht war viel komplizierter. Man sah darin eine Familie, die in Igors Erinnerung nur als Lücke existierte, eine Mutter, die von einem Tag auf den anderen zum Gespenst geworden war. Man konnte seinem Gesicht auch ablesen, dass er noch nie in Urlaub gefahren war und dass er im Gegensatz zu Fred wusste, wie man eine Sechzig-Grad-Wäsche macht oder eine italienische Salatsauce. Fred aber sah in diesem Moment nichts als Quengelfratzen.
    »Mann, ihr Kretins. Man könnte mal wo hingehen, aber nein, ihr wollt bis ans Ende eures Lebens hier rumsitzen.«
    Fred schleuderte einen Stein nach einer Katze. Sie flüchtete ins Gestrüpp. Dann begann er, um das alte Zelt herumzutrotten. Sie hatten es vor ewigen Zeiten in einem Container gefunden und Freysinger in den Garten gestellt, der sich davon nicht beeindrucken ließ. Es sah mittlerweile aus wie versteinert. Als Igor aufstand, schaute Fred demonstrativ weg. Als Igor losmarschierte, schaute er wieder hin. Als Manu ebenfalls aufstand und Igor folgte, riss er die Arme in die Luft.
    »Wohin, Leute?«, rief er.
    »Egal. Hauptsache, wir gehen«, sagte Igor.
    »Aber …«
    »Wir gehen einfach. Klar?«
    »Ja, schon klar. Kein Problem. Wir gehen.«
    Und sie gingen.
    Die Straße hinunter, beim verlassenen Hof vom alten Hartmann nach rechts, weiter den Bach entlang. Sie gingen, und das war’s. Erst Igor, dann Manu, dann Fred. Im stillen Marsch quer durchs Dorf, einszwodreivier, einszwodreivier. Sie nahmen den Weg, der über einen Steg den Bach querte, es folgten Fachwerkhäuser, ein roter VW Käfer, eine Trafostation. Vor der Metzgerei Stoll sahen sie einen nervösen Hund und einen gelben Citroën mit knisternder Motorhaube. Igor blieb stehen. Manu reckte den Kopf, Fred hüstelte. Ein Mann trat aus der Metzgerei, in der Hand ein Stück Wurst, und der Hund sprang wie eine Feder in die Luft. Igor wandte sich nach links, Manu und Fred ihm nach. Einszwodreivier, einszwodreivier. Straße hinauf, später wieder hinunter, rechts, links, rechts, zickzack, ringelum und immer weiter, bis sie Heinz in die Arme liefen.
    »Ho, Heinz«, rief Fred.
    Heinz war nur zur Hälfte zu sehen. Er hob sich aus einer Hecke und blinzelte sie schief an.
    »Heinz«, fuhr Fred fort, »machst wieder mal die Straßen unsicher? Wir kennen dich schon. Pass auf.«
    Heinz streckte ihnen stumm eine dreckverkrustete Münze entgegen. Er strahlte. Dann bückte er sich und verschwand in der Hecke.
    Einszwodreivier, Straße hinunter, Straße hinauf, links, rechts, links, immer weiter. Fred wollte etwas über Heinz sagen, doch als er Igors Blick sah, beschloss er, darauf zu verzichten.
    »Heinz ist glaubs ein bisschen behindert«, sagte Manu.
    »Heinz hat eine Explosion überlebt«, erwiderte Igor, ohne zurückzuschauen.
    »Wie bitte?«
    »Lecke Gasleitung im Haus, als er noch ein Junge war. Die ganze Bude ging in die Luft, nur Heinz stand da, mit pechschwarzem Gesicht und angesengten Haaren. Seit da hört er auf einem Ohr nichts, deshalb hält er den Kopf schräg. Behindert ist er nicht, nur komisch.«
    Fred stieß einen Pfiff aus und blickte zurück, aber Heinz war nicht mehr zu sehen.
    »Heinz ist schon recht«, fuhr Igor fort. »Er lässt Schorsch ab und zu in seiner Garage schlafen.«
    Fred versuchte, sich Heinz und Schorsch als Freunde vorzustellen. Der Versuch scheiterte. Manchmal sah man Schorsch gegen eine Hecke plaudern, und jeder, der vorbeiging, musste denken,

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