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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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würde.
    »Da vorne gibt’s einen Teich«, sagte er.
    Igors Blick folgte Manus Zeigefinger.
    »Jede Menge Frösche. Auch Wasserbienen. Und Blutegel. So lang.« Manu streckte beide Hände im Abstand von zwanzig Zentimetern in die Höhe. Igor schaute sich die Geste an. Er sagte kein Wort.
    Weiter, immer weiter. Zurück zur Hauptstraße, erneuter Seitenwechsel, ein paar Sträucher, dahinter ein Mäuerchen, dahinter ein feuchter, dunkler Hof, dahinter ein Dutzend ausgeweideter Autos, dazwischen hohe Grasbüschel, wieder ein Sträßchen, eine Brücke, eine Werkstatt. Manu schaute zu Fred zurück. In seinem Blick lag Ratlosigkeit.
    Er würde jetzt nichts mehr sagen, beschloss Fred. Sich nur noch treiben lassen. Alles käme, wie es kam. Und kommen würde es sowieso. Die Welt kann gar nicht anders, dachte er und musste leise kichern, sie ist ständig in Bewegung, und ich brauche bloß zu warten, und Renate, hihi, Renate ist selber eine Bombe, liegt auf ihrem Liegestuhl und tickt, hoho, und kann überhaupt nichts tun dagegen, sie tickt und tickt und tickt und fragt sich, woher es denn kommt, dieses Ticken, hebt die Sonnenbrille, schaut um sich, sieht nur Blumen, Gras und Bienen, schüttelt den Kopf, senkt die Sonnenbrille wieder auf die Nase, schließt die Augen und tickt weiter, tickt und tickt, haha, und dann.
    Und dann stolperte Fred schon wieder in Manu hinein, der ihn diesmal auffing, und er hörte eine tiefe Stimme, die sagte: »… ach, ich gieße nur die Pflanzen für jemanden. Ein Freund. Zwei Wochen Kreta.«
    Fred rieb sich die Augen. Vor ihnen stand Schorsch.
    »Und sonst?«, fragte Manu. »Was läuft?«
    »Nichts. Freut euch eurer Torheit, denn dahinter wartet das Unglück. Und hinter dem Unglück kommt nichts mehr. Vergesst das nie, Jungs, nichts kommt mehr.«
    Schorsch blickte Fred schweigend an. Und zottelte davon.
    »Was mit dem los ist?«, fragte Manu.
    Igor sagte nichts und ging weiter.
    Alles ist gleichzeitig, dachte Fred, den Trott wieder aufnehmend. Was wird, ist schon längst da, und was nicht mehr wird auch, und was schon war sowieso. Und wenn er genau hinhörte, konnte er auch schon Renates Ticken vernehmen, und er dachte: Bald ist es so weit, Renate, bald wirst du von deinem Liegestuhl wegkatapultiert und fliegst im hohen Bogen durch die Luft, und ich fange dich auf, und du wirst mich aus deinem kohlerabenschwarzen Gesicht anlächeln und auf die Zehenspitzen stehen, und deine Augen werden sich schließen und.
    Und auf Freds Gesicht machte sich ein Lächeln breit, so breit, wie es auf seinem Gesicht noch nie zu sehen gewesen war, so breit, dass Manu und Igor nun stehen blieben und es betrachteten wie eine Sonnenfinsternis, beide schauten sie an ihm hoch, und Fred schaute ebenfalls hoch, direkt in die Krone von Freysingers Kirschbaum. Sein Blick schwebte haltlos im Geäst und sank langsam hinunter.
    »Es tickt«, sagte er, »hört ihr’s?«
    Igor und Manu schauten ihn stumm an.
    »Tick-tack, tick-tack, hihi.«
    Igor und Manu schauten sich gegenseitig an.
    »Jetzt ist nachher, hoho, und vorher ist jetzt.«
    Freds Lächeln zog sich noch mehr in die Breite.
    »Und nachher ist vorher«, sagte Manu, »immer das Gleiche, haha.«
    »Mann, Mann«, sagte Fred.
    Igor sagte nichts.

Hinterhalt
    Jeden Morgen das Gleiche. Sein Gesicht über der Balkonbrüstung, aufgedunsen. Von der Zigarette in seinem Mund steigt ein gequirlter Rauchfaden hoch. Er blickt dem Rauch hinterher, kratzt sich im strähnigen Haar. Dann fährt seine Hand in die Trainingshose und kratzt dort weiter. Aschekrümel wehen davon, der Rauch malt flüchtige Zeichen in die Luft.
    Halb acht. Zu dieser Stunde sitze ich längst am Fenster. Ich habe auf dem Bett liegend die Dämmerung abgewartet, mich in die aufrechte Position empor- und auf den Rollstuhl hinübergewuchtet. Die Wolldecke über die Beine geschlagen, wurde ich Zeuge des beginnenden Tages. Ein glühender Kondensstreifen am Himmel, zwei Elstern im Baum, der Professor auf dem Weg zur Haltestelle. Jeder Tag eine Laborsituation, die Versuchsreihen werden ständig neu aufgestellt.
    Mein Tee ist ein Darjeeling, mein Frühstück ein trockener Müsliriegel. Ich schaue meiner Hand zu, die den Riegel aus der Verpackung schält. Vorsichtig führt sie ihn an den Mund. Ich beiße ein winziges Stück ab und kaue langsam. Dann senke ich meinen Kopf zum Okular des Fernrohrs. Ich sehe wieder sein Gesicht und das Kratzen im fettigen Haarnest. Gleich wird er die Zigarette am Balkongeländer ausdrücken.

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