Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)
dass da jemand hinter der Hecke steht und ihm zuhört. Aber Schorsch tut nur so, dachte Fred, denn keiner will mit ihm plaudern. Selbst Heinz nicht.
»Heinz ginge gern mehr unter die Leute«, sagte Igor über die Schulter.
»Manchmal steht er mit dem Albaner aus seinem Block vor der Garage herum«, erwiderte Manu.
»Der will ihm nur den alten Plunder abkaufen, aber Heinz weigert sich.«
Einszwodreivier, quer über die Straße, zurück, nach links und weiter. Fred ließ den Blick durch die Gegend schweifen. Er sah Hecken und durch ihre Lücken noch viel mehr. Hasenställe, Bierdosenhaufen, Frauen im Bikini auf dem Liegestuhl, die Luft um sie herum durchweht von gedämpftem Radiogedudel.
Er fragte sich, wo Renate jetzt war. Postplatz wahrscheinlich, mit ihrer Freundin. Vielleicht aber auch nicht. Denn wer wusste schon, was Renate wollte und was sie tat. Vielleicht war auch sie im Garten, ganz allein. Alles Mögliche war möglich. Fred stellte sich ein Meer von Blumen und Gräsern vor, und mittendrin Renate, sich im Bikini auf einem Liegestuhl räkelnd, ein pralles Bündel voll geheimer Wünsche. Das eine Bein hatte sie leicht angezogen, auf ihren Lippen saß ein Lächeln, auf der Nase die Sonnenbrille. Ganz allein saß sie da, ganz still. Alles Menschenmögliche konnte man sich vorstellen. Diesen Hintern zum Beispiel, der einen runden Ball in den Stoff des Liegestuhls drückte. Diesen leichten Schweißglanz an der einen Stelle dort, oberhalb von, also genau in der Mitte zwischen, und auch weiter unten ein glitzernder Fleck, etwas seitlich von, ganz knapp daneben. Nichts war unmöglich. Und Fred dachte an die Reife, und dass er im Grunde genommen keine Ahnung hatte, wie er mit ihr, und was, und überhaupt. Und er fand, dass ihm der Mut viel lieber war, mit ihm konnte er etwas anfangen, da war ihm sonnenklar, wie er, und was, und überhaupt. Und er kniff die Augen fest zusammen und biss auf die Lippen, und plötzlich wurde der Garten seiner Vorstellung von einem Getöse erschüttert, Blumenbeete flogen davon, Rasenstücke, Sträucher, alles wurde weggeratzt, und eine Staubwolke hüllte alles ein. Und während Renate sich die Fetzen aus dem Haar schüttelte, erschienen aus dem Staubnebel Fred und sein Freund, der Mut, und Renate trat mit rußgeschwärztem Gesicht auf Fred zu und lächelte ihn an und stellte sich auf die Zehenspitzen und schloss die Augen und.
Und dann stolperte Fred in Manu hinein, und beide rissen gemeinsam Igor mit, und zu dritt landeten sie auf dem warmen Asphalt. Igor riss sich stumm los, stand auf und ging weiter. Manu hielt sich die Hand an den Kopf, verzog das Gesicht, stand auf und ging weiter. Fred schaute hinter sich, drehte sich wieder um und dachte an alles Mögliche und begriff in diesem Moment, dass der Mut eine Bombe war, die die Angst in Stücke riss. Und stand auf und ging ebenfalls weiter.
Straße hinunter, um die Ecke, Seitenwechsel, geradeaus, zum Dorfbrunnen. Eine Katze mit löchrigen Ohren saß auf dem Brunnen und verfolgte ihren Weg.
»Woher hat Heinz eigentlich diesen Striemen im Gesicht?«, fragte Manu.
»Von der Geburtszange. Er wollte nicht raus auf die Welt«, sagte Igor.
»Woher weißt du das?«
»Weiß ich nicht. Aber sieht man ihm an. Wie er dasteht.«
Weiter ging es. Einszwodreivier, schmale Treppe hoch, einszwodreivier, weiter zum großen Parkplatz hinter der Hirscheneck. Grasbüschel zwischen Betonplatten, zerfetzte Feuerwerkskörper im Gestrüpp.
Striemen, Geburtszange, dachte Fred. Ihn hätte es nicht verwundert, wenn alles stimmte. Igor kannte alte Geschichten von den Leuten, obwohl er nie mit ihnen sprach. Bestimmt hatte es mit seiner Mutter zu tun. Wenn sie etwas sagte, verstand Fred kein Wort, doch Igor war immer klar, was sie meinte. Und wenn sie plötzlich laut durch die Nase zu schnaufen begann und sich Bläschen an ihren Nasenlöchern bildeten, hätte Fred jeweils am liebsten Leine gezogen. Igor hingegen nahm die Mutter am Arm und führte sie zu ihrem Schaukelstuhl, damit sie sich beruhigte. Was wusste Igor eigentlich über Renate? Was wusste er über ihre Geheimnisse, ihre Zukunft? Igor wäre imstande zu sagen: »Sie wird Flight Attendant und heiratet einen Fußballspieler. Sieht man ihr an. Wie sie dasteht, auf dem Postplatz, und sich die Haare um den Finger kringelt.« Und diese Prophezeiung wäre imstande, sich zu erfüllen. Nur weil Igor sie ausgesprochen hatte.
Igor blieb stehen, und zum ersten Mal schien es, als ob auch Manu ihm nicht trauen
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