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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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Audi A8«, antwortete Huber Schober. »Aber ihn selbst, den Netten, meine ich!« Ja, freilich, es sei sein Audi A8 gewesen, das sei allseits bekannt, dass das sein Audi A8 sei, wegen der Nummer und den verdunkelten Scheiben und überhaupt, das wisse man.
    So also hatte Huber ihn jeweils gesehen. Als Audi A8 mit einer bestimmten Nummer, verdunkelten Scheiben und überhaupt. Andere beschwörten, ihn manchmal auf dem Tennisplatz zu sehen. Er trainierte schon lange nicht mehr hier, er hatte seinen Privattrainer, konnte ganze Hallen für sich mieten. Was hatte er also auf unserem Tennisplatz getan? Ein paar Games Tennis gespielt, mit Leuten geschwatzt und im Klubhaus ein Isostar oder Red Bull getrunken? Oder war er einfach nur als Audi A8 mit einer bestimmten Nummer am Gelände vorbeigefahren?
    Der Schlimmste von allen war Kahl. Er war Mitglied im Tennisklub und ließ das alle wissen. Wenn ein Turnier stattfand, war er immer dabei. Wenn es ein Jubiläum gab, kümmerte er sich um die Getränke. Dieser blasierte Schwätzer behauptete eines Tages an meiner Ligusterhecke: »Er wollte ja damals, dass ich persönlich sein Material betreue, er wünschte das ausdrücklich, aber ich sagte nein. Ich war mir zu schade, stellen Sie sich vor, ich war mir zu schade für ihn.« Ich ließ ihn kommentarlos stehen.
    Nun war der Nette weg, und meine Frau war die Einzige, die nie behauptet hatte, ihn gesehen zu haben. Als ich sie eines Nachmittags beim Gang aufs Klo auf dem Sofa entdeckte – eine Patchworkschildkröte inmitten von Patchworkkissen –, fragte ich: »Kommt er jemals wieder zurück?« Sie klappte ihren Mund auf und zu, doch ich konnte keine Laute vernehmen. Als ich eine Viertelstunde später mit der Zeitung in der Hand aus der Klotür trat, sagte sie: »Wer?«
    Ich begriff erst nicht, dann sagte ich: »Na, der Nette!«
    »Wohin zurück?«
    »Was weiß ich. Nach Hause. Zu uns, wo er hingehört.«
    »Hier drin ist er immer woanders«, sagte sie, kramte in den Illustrierten auf dem Sofatisch und zeigte mir die Bilder: der Nette und seine Freundin an einem Charity-Anlass, der Nette und sein Audi A8 vor dem Eiffelturm, der Nette mit Sponsoren auf dem Jungfraujoch. Ich schüttelte den Kopf und ging nach draußen.
    Die Welt hatte in jenen Tagen offenbar beschlossen, sich dem Irrsinn hinzugeben. Vielleicht war die Hitze daran schuld, vielleicht die Konstellation der Sterne, wie eine Astrologin im Radio bekanntgegeben hatte. Ich wollte nicht mehr darüber nachdenken und verschanzte mich in meinem Loch. Der Boden wurde allmählich steiniger, die Schaufelspitze begann sich zu krausen, ich trieb sie dennoch weiter mit Fußtritten in den Grund, bis ein metallischer Schlag durch meine Glieder fuhr. Ich war auf Fels gestoßen. Es ging nicht weiter. Der Bekannte mit dem Pool kannte einen Baggerführer. Dieser sah sich die Sache an und winkte ab. »Ich sag Ihnen gleich, wie’s ist«, verkündete er, »das ist eine Kalksteinschneise, da kommen Sie nur noch mit Sprengen weiter.«
    Ich grub an verschiedenen Stellen neu, stieß aber immer wieder auf den Fels. Dann beschloss ich, nur noch in der anderen Hälfte des Lochs weiterzugraben, also da, wo kein Fels war. Ich wollte einfach nur graben, graben. Die Erde an dieser Stelle war weiterhin schön weich, bald sah man meinen Kopf nicht mehr, ich war schon auf zwei Meter fünfzig Tiefe und grub immer weiter. Als ob ich den Fels gesucht hätte an dieser Stelle, aber er kam nicht, also wurde das Loch immer tiefer, drei Meter und mehr.
    Noch immer begriff ich nicht, wohin dieser Weg führte. Aber vielleicht hatte sich bereits eine Ahnung in mir festgehakt. Vielleicht spürte ich, dass dort in der Tiefe unten kein Nachdenken mehr nötig war und jene Wünsche auf mich warteten, über die ich noch nichts wusste, oder, noch viel besser, mein anderes Ich, in das ich schlüpfen würde wie in einen Helden-Overall. Jede einzelne Schippe, die ich ans Tageslicht wuchtete, war der Funke eines künftigen Glücks. Und oben quietschte die Hollywoodschaukel und ab und zu erklang das Geräusch von Kaffeetasse auf Untertasse und still schwebte über dem Loch die Frage meiner Frau: Wohin zurück?
    Es war in der heißesten Zeit dieses Sommers – um genau zu sein, war es der 4. Juli, an den sich alle erinnern, weil an diesem Tag ein Hooligan bei der Fabrik herumzündelte und einen Gastank hochgehen ließ –, als ich einen Jungen in meinem Garten erwischte. Ich weiß nicht, wie er sich Zugang verschafft hatte, aber

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