Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)
»Na ja«, sagt sie, »abgeschnittene Jeans sind eh geiler.« Und tätschelt sich auf den Hintern.
Ich wollte nicht zum Postplatz, und ich will auch nicht zum Tennisplatz. Aber ich sage nichts, sonst fragt Steffi nach. Keinen Bock auf Freundinnentherapie. Wie soll ich denn erzählen, was passiert ist? Alles verdreht sich, wenn man es ausspricht. Grundregel des Lebens. Nichts kann man so sagen, wie es war. Besser alles vergessen.
Und dann stehen wir also beim Tennisplatz. In abgeschnittenen Jeans. Seine Limousine nirgends.
»Er kommt. Wart nur«, sagt Steffi.
»Vielleicht wollte er gar nicht zum Tennisplatz«, antworte ich.
Steffi sagt nichts. Stattdessen lässt sie eine Kaugummiblase platzen.
»Vielleicht wollte er zum Flughafen.«
Ihre Zunge schwenkt über die Lippen, die Kaugummiblase verschwindet in der Mundhöhle.
»Er fliegt weg. Und kommt nie mehr zurück.«
»Blödsinn«, ruft sie. »Er hat ein Penthouse in Dubai. Wenn er in seinem Privatjet zu einem Turnier in Australien fliegt, bleibt er dort ein oder zwei Nächte. Macht er immer so. Aber jetzt ist er hier, wirst schon sehen.«
Sie zupft an ihrem zerfransten Hosensaum, dreht sich tänzelnd um die eigene Achse. Ich sehe ihr zu. Und muss wieder daran denken. An alles, was man nicht aussprechen kann. An die letzten Minuten in der Schule. Und das, was darauf folgte.
Begonnen hat es nach dem Mittagessen. Jeder voll kribbelig, mit diesen fünf Wochen Freiheit in den Augen. Die Stimmung wie irr. Als die Zeugnisse verteilt wurden und alle losschrien, stand plötzlich Ronno neben mir. Ein feuchter Hauch in meinem Ohr: »Was geht uns das eigentlich an, der ganze Kram.« Ich sagte: »Keine Ahnung.« Er: »Hey, leihen wir uns ein Auto?« Ich dachte: Will ich? Ich sagte: »Okay.« Gelandet sind wir beim Autoschrottplatz vom Altmüller. Ronno: »Fahren wir, Gazelle?« Ich: »Klar, Hirschkopf.« Ronno knurrte etwas von PS , suchte sich sein Wunschauto aus. Als wir drinsaßen, wollte er nicht fahren. Wie ein Pimpel saß er am Steuer. Ich: »Also, fahr mal!« Er: »Voll nicht. Lieber was anderes machen. Gemütlicher Sitz hier.« Ich: »Was, was anderes?« Er: »Was, was, was anderes?« Ich: »Waswaswaswasanderes?« Dann klappte er meinen Sitz nach hinten, dass ich mir fast das Genick brach.
Ich hatte nie was mit Ronno. Dabei ist er als Typ ganz okay. Recht süß, aber harmlos. So denkt auch Steffi. Sie trägt für jeden in unserer Schule eine Plus/Minus-Liste im Kopf herum. Ronno hat bei ihr in der Summe ein leichtes Plus. Recht süß, aber harmlos. Hübsche Locken, zu große Nase. Und manchmal ist er frech. Dort im Auto beim Altmüller hab ich ihm eine ins Gesicht. Nicht fest. Nur so, dass es leicht klatschte. »Willst mich umbringen, Mann?« Er: »Oh, Süße.« Und zog mir das T-Shirt hoch. Und kitzelte mich. Wusste genau, wo ich fitzig bin. Und hörte nicht auf, so dass ich fast, aber wirklich fast. Zum Glück tauchte vorne Altmüllers Kopf auf. Wie ein Raubtier, der Alte. Wir duckten uns, Ronno drückte mir die Hand auf den Mund.
Ich zucke zusammen. Steffi tätschelt mich auf den Arm. »Schau mal, die da.« Ich drehe mich um. Ein Auto fährt in den Tennisparkplatz ein, hupt. Steffi setzt sich in Bewegung. Das Fenster surrt herunter, ein Kopf taucht auf. Glupschaugen, riesige Zähne, Sturmfrisur. Steffi tänzelt vor dem Auto hin und her. Ihre Masche, kenn ich längst. Dieser Typ, denke ich. Sein Grinsen. Er dreht die Musik lauter. Hinten auf dem Rücksitz ist noch einer. Steffi ist voll juckig, ich sehe es. Tänzelt rum, quietscht und alles. Die zwei Fatzkes im Auto schauen sich an.
Ich sehe ihnen zu und denke wieder an Altmüllers Schrottplatz und Ronnos feuchte Hand auf meinem Mund. Altmüller verteilte böse Blicke in die Gegend, drehte sich um und verschwand. Ich riss die Hand von meinem Gesicht: »Fascho!« Ronno sagte nichts. Eine Katze sprang auf unsere Kühlerhaube. Kleines Blickduell, dann verschwand sie und wir auch. »Ich zeig dir ein schönes Plätzchen, bei der Fabrik«, sagte Ronno. Auf dem Weg kam uns der komische Knecht entgegen, ganz in orange Klamotten gehüllt. Er sagt sonst nie etwas, jetzt aber rief er uns schon von Weitem zu: »So, Kinder. Alles klar?« Ronno: »Voll!« Der Knecht fuhr fort: »Du, ihr müsst mich entschuldigen, aber ich muss gleich weiter. Viel zu tun heute.« Seit mehr als einem Jahr stand der Knecht den ganzen Tag auf der Straße herum, und jetzt wollte er viel zu tun haben. Komischer Vogel. Ronno: »Du, Knechtl, sag,
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