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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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hast schon mal eine Frau in der Hand gehabt? So eine richtige, mit allem Drum und Dran?« Ronno sah mich an, ich wandte den Kopf ab. Der Knecht blinzelte aus seinem Wieselgesicht und sagte: »Ja, äh, also, ich muss dann mal.« – »Kannst ruhig zugreifen, Knechti, schau, das Hinterteil, schön weich und rund.« Ich holte mit der Hand aus, Ronno wich zurück. Der Knecht kicherte: »Haha, nicht schlecht. So, jetzt aber schleunigst, gell!« Und entfernte sich. Ronno packte mich an der Hand, wir gingen weiter. Mir fiel Steffis Plus/Minus-Liste ein: recht süß, aber harmlos. Ich sah Ronno von der Seite an, während er seine Baggy-Hose auf halbe Arschhöhe hinunterzog. Bisschen nervös ist er, dachte ich, warum denn?
    »Re, komm, kleine Runde ziehn, mach schon, Mann.« Ich winke ab. Der Grinsaffe öffnet die Beifahrertür, Steffi steigt ein, sein Kumpel hinten schreit wie ein Hirnamputierter. »Re, was ist denn los?«, schreit Steffi. Ich drehe mich um, warte, bis die Tür zuklappt. Das Auto röhrt an mir vorbei, Kies spritzt. Ich strecke die Zunge heraus und schaue dem Auto nach. Spoiler oder wie das heißt hintendrauf, an der Seite Schachbrettbalken. Haut bloß ab, denke ich.
    Etwas stimmte nicht mit Ronno. Hätte ich davonrennen sollen? Auf dem leeren Fabrikhof schüttelte ich meine Hand aus seinem Griff und sagte: »Damit’s klar ist. Hinterteil ist meins!« Ronno: »Dein Hinterteil, mein Spaß!« Ich: »Und was ist mein Spaß, Mann?« Er: »Wirst schon sehen.« Schaute mich an mit diesen Augen, riesengroß, und ich dachte: Was hat der drin? Ich sagte: »Hey, gehen wir zu Chantal? Sie darf rauchen im Zimmer.« Ronno: »Was glaubst du denn? Wir gehen nicht mehr zurück. Wir hauen ab, wir zwei.« Er packte wieder meine Hand und ging schneller, zu den Tanks, wo es immer zischte und gurgelte. »Hey, Chantal hat eine neue Konsole, wie heißt die nochmal? Game Cube oder so.« Keine Antwort. Etwas, dachte ich, etwas ist passiert, als wir den Knecht getroffen haben. Schraube im Hirn, gelöst und hinuntergefallen. »Mann, nicht so schnell«, rief ich, »ich brauch eine Zigi.« Bei den Tanks kein Mensch. Nur gelbes Gras, Bienensummen und das Zischen an den Leitungen. Ronno schmiss sich an eine Mauer und zog ein Päckchen Gauloises aus der Hosentasche.
    Die Alten reden immer von Erfahrung und dem Zeug. Vielleicht haben sie recht. Wenn ich Erfahrung gehabt hätte. Dann wäre ich längst davongerannt. Nicht wegen dem Fummeln und den Machosprüchen. Aber wegen diesem Blick. Und der Art, wie er meine Hand nahm und durch die Gegend hetzte, als ob irgendein Ding dran wäre, nicht ich. Genug Gründe, davonzurennen. Doch ich blieb. Nahm die Zigarette, die er mir hinhielt, und setzte mich ebenfalls an die Mauer.
    Ich höre ein Geräusch und drehe mich um. Ich rufe in Richtung Tennisklubhaus: »Hallo?« Keine Antwort. Mein Blick geht zum Horizont. Ich sehe eine riesige Rauchwolke und muss an das Zischen bei den Leitungen denken. Ich wische mit der Schuhsohle das Kies glatt. Noch ein Geräusch beim Klubhaus. Ein Tier, ein Mensch? Komisch, aber in diesem Augenblick fällt mir mein schlafwandelnder Vater ein. Wenn ich beim nächtlichen Gang aufs Klo im Treppenhaus seine Silhouette sehe, komme ich mir vor, als ob ich blind wäre, und er, stelle ich mir vor, sieht alles, wie ein Tier. Unheimlich. Aber auch wir Menschen waren einmal Tiere. Manchmal auf den Bäumen, manchmal am Boden, ständig gurrend, kläffend und grunzend. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn wir Menschen nicht mehr sprechen könnten, wenn wir alle unser eigenes Essen jagen und sammeln müssten, wenn uns wieder ein Fell wachsen würde. Hätten wir weniger Angst vor anderen Tieren?
    Mit der Schuhkante ziehe ich eine Welle in den Kies, wische sie weg. Und ziehe eine neue Welle. Und wische sie weg. Ich bin sauer. Auf Ronno. Auf die Welt. Auf mich.
    Nach drei Zigaretten musste ich kotzen. Drei Mal eine Riesenladung in hohem Bogen. Ronno lachte sich kaputt. Ich schabte mit dem Finger Reste der Kotze aus dem Mund, während er weiter vor sich hinqualmte. Eine Weile musterte ich ihn, er achtete nicht darauf. Wirklich zu groß, diese Nase, dachte ich. Und die Locken sind gar nicht so hübsch. Sein Blick auch nicht. Im Gegenteil. Ich wandte mich ab, wollte an etwas Schönes denken, aber es fiel mir nichts ein. Dann stellte ich mir das Zischen und Blubbern über mir als lustige Melodie vor. Sie wechselte von lustig zu schwachsinnig und ich vergaß die Gegenwart. Ich schlief

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