Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)
Claudio weiß, wer es war.« Sie wendet sich dem Fahrer zu. »Sag’s ihr, Claudio! Du hast ihn gesehen, den Knecht. Sag schon!«
Ich setze mich in Bewegung. Reiße die Fahrertür auf und trete dem Affen meine Turnschuhe in den Schoß, er jault auf, aber ich lasse nicht locker, bis Steffi auf der anderen Seite aussteigt, um die Motorhaube jagt und mich von dem Affen wegreißt. »Spinnst du eigentlich?« Sie lockert ihren Griff, ich springe wieder ans Auto und meine Füße treten auf alles Weiche, das sie erreichen. »Re, hör auf. Hast ’nen Knall?« Sie zieht mich erneut weg vom Auto. Meine Füße strampeln weiter. Die Autotür klappt zu, der Motor heult auf. Wir fliegen beide in den Kies. Das Auto röhrt davon.
Steffi schüttelt mich. »Du hyperventilierst, Mann.«
Ja, ich hyperventiliere, Mann. Und nicht nur das. Ich schnappe über.
»Beruhige dich, Schätzchen.«
Nein, Schätzchen, ich beruhige mich nicht. Alles in mir drin rast. Ich schließe die Augen, aber es rast weiter.
Ich glaubte, es würde nie mehr aufhören dort unten in der Höhle. Habe getobt und getobt und wusste nicht mehr, ob ich überhaupt noch hier auf der Welt oder ob ich schon längst weit weg war. Doch irgendwann war es vorbei. Irgendwann war es still in der dunklen Höhle, und ich lag allein auf dem Beton.
Lange dauerte es, bis ich mich wieder rühren konnte. Ronno war weg. Ich stand auf und torkelte davon. Tastete mich langsam vor, kalter Beton an den Fingerspitzen, stolperte über Stufen hinauf. Es wurde hell. Ich sah eine Gittertür, ein kaputtes Schloss. Dieser Eingang in der Nähe des Wäldchens. Wir haben immer gedacht, dass es ein Bunker sei. Vielleicht ist es einer, ich weiß es nicht. Ich wusch mir am Bach das Gesicht, schlich an Einfamilienhäusern und Garageneinfahrten vorbei, und ich dachte: Vergiss es, war nichts. Ronno ist ein Arsch, aber das war nichts. Paar Kratzer, sonst alles noch da. Dann der Postplatz, ich hinter den Autos vorbei. Da fing Steffi mich ab.
»Was ist denn passiert?«, fragt sie jetzt.
Ich liege noch immer im Kies und schweige. Ich weiß nicht, was passiert ist. Und wenn ich es wüsste, gäbe es keine Wörter dafür, um es zu erzählen. Die, die man hat, verdrehen alles. Ich denke an die Erfahrung. Ich hätte davonrennen sollen. Hab ich aber nicht gemacht.
»Steffi«, sage ich.
»Ja?«
»Die Jungs da im Auto.«
»Hör mal, sie sind voll okay. Reg dich ab.«
»Schon. Aber woher weißt du es?«
»Hä?«
»Wer sagt es dir? Dein Gefühl?«
»Immer. Ich verlass mich hundert Pro auf mein Gefühl. Denken kann ich eh nicht. Denken ist Lug und Trug.«
Steffi steht auf, putzt sich den Hosenboden ab. Dabei windet sich sich wie eine Schlangenfrau und guckt sich ihren Hintern an. Vielleicht hat sie recht. Den Gefühlen folgen, und die Wörter können dann machen, was sie wollen.
Steffi geht. Ich picke winzige Kiesel von meinen Knien. Wieso sind wir eigentlich hierhergekommen? Der Süße. Er ist nicht aufgetaucht. Der Mann in der roten Limousine, hinter den verdunkelten Scheiben, das war ein anderer. Denn der Süße ist vor Monaten untergetaucht, alle wissen es, und er kommt nicht mehr zurück. Da kann Steffi ihn noch lange herbeiplangen. Er ist auf und davon. Für immer.
Ich höre ein Geräusch hinter mir und wende den Kopf. Pfotenleck und Kringelschwanz stehen wieder im Schatten des Klubhauses. Während ich die beiden mustere, denke ich mir ein fernes Land aus. Es ist ein Land, in dem alle zur Katze werden, ein Land ohne Menschen und voller Stille. Schleichen, sitzen, lauern, schlafen, mehr braucht man hier nicht zu tun. Frieden ist oberstes Gebot. Muss ein schönes Land sein, denke ich.
»Mann, Re. Komm jetzt!« Ich winke den kleinen Tigern am Klubhaus zu und beginne, hinter Steffi herzutrotten. Was, frage ich mich, hindert mich daran, das Land der Katzen zu suchen? Ich blicke nach vorne zu Steffi, die schon wieder tänzelt, und beginne leise zu schnurren.
Aus
In Freds Schlepptau schritt er durch die Straßen. Hier habe ich Schorsch zum letzten Mal gesehen, dachte er, als sie am Brunnen vorbeikamen. Hier hat er mir seine letzte Geschichte erzählt, von einer Hochzeit, Dinosauriern und der Einsamkeit. Igor erinnerte sich, wie Schorsch ihn im Kreis um den Brunnen herum verfolgt hatte. Schnecke jagt Hase, dachte er, und ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht. Das war erst sechs Tage her, aber diese sechs Tage erschienen ihm wie eine Ewigkeit.
»Penner. Fieber im Hochsommer!«, rief Fred über die
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