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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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Schulter.
    »Vielleicht ist er angesteckt worden«, antwortete Igor.
    »Von wem denn?«
    »Keine Ahnung. Von den Heuschrecken?«
    Manu lag krank im Bett. Sie waren unterwegs zur Katzenscheune, Fred ging voran. Es war wie eine Pilgerfahrt, die man gemächlich angeht, weil man eigentlich nicht ankommen will. Unter Freysingers Kirschbaum hatten sie sich gefragt, ob er es gewollt hätte. Schließlich hatten sie sich auf den Weg gemacht, ohne eine Antwort gefunden zu haben.
    Sie gingen weiter. Noch immer dachte Igor daran, wie Schorsch in seiner bekannt schnurrigen Art am Brunnen aufgetaucht war. Aber etwas war nicht wie sonst gewesen. Wie ein unfreiwilliger Mitspieler in einem fiesen Streich hatte Schorsch gewirkt. Was war echt gewesen an dem Schorsch, den sie kannten, und was nicht? Igor dachte an die wuchernde Stahlbürste von Frisur auf Schorschs Kopf, an der er gerne einmal gezogen hätte, und an die weichen Stellen dieses Gesichts, die er hätte kneifen wollen. Doch er wusste, dass er dabei keine Überraschung erlebt hätte. Die Überraschungen wären weit drinnen in Schorsch zu finden gewesen, dort, wo er seine Geheimnisse versorgt hatte.
    Sie kamen an Altmüllers Garage vorbei. Stille zwischen den angebeulten Karosserien im Hof. Keine einzige Katze.
    »Ob die Polizei noch dort ist?«, fragte Fred.
    »Warum?«
    »Spurensicherung.«
    »Hm.«
    »Bestimmt haben sie alles großräumig abgesperrt.«
    Ein Auto fuhr an ihnen vorbei. Es bog nicht ab Richtung Scheune, sondern blieb auf der Hauptstraße. Eine Senke verschluckte es.
    Igor fiel Freysingers Opel ein. Soweit er zurückdenken konnte, hatte der Wagen beim Kirschbaum gestanden. Jetzt war er weg. Igor hatte an jenem Tag unter dem Wagen gelegen, als der Motor plötzlich angesprungen war, hatte unter dem ohrenbetäubenden Dröhnen einen letzten Gedanken fassen wollen, bevor er überrollt würde, doch während er den Gedanken noch gesucht hatte, war der Wagen ohne Berührung über ihn hinweggefahren und um die nächste Hausecke verschwunden. Vor Schreck hatte Igor erst nicht aufstehen können, und er hatte eine Weile liegend den Rauchpilz betrachtet, der sich vor dem glattgewienerten Himmel aufgetürmt hatte.
    Die Stelle, wo das Auto gestanden hatte, wirkte jetzt wie eine Wunde in der Straße, gesprenkelt mit überreifen Kirschen. Freysinger hatte sich nie für die Kirschen interessiert, und Schorsch hatte sich gerne bedient. Dieses Jahr würden alle verfaulen.
    Sie bogen von der Hauptstraße ab. Fred wandte den Kopf.
    »Zwei Männer folgen uns«, hauchte er.
    »Wo?«
    »Dort.«
    Igor blieb stehen.
    »Wir dürfen nicht stehenbleiben.«
    »Warum nicht?«
    »Vielleicht ist es die Polizei.«
    »Polizei?«
    »Der Täter kehrt zum Tatort zurück. Jeder Kriminalist weiß das.«
    »Täter?«
    »Weitergehen!«
    In einer Einfahrt stand ein flechtenbewachsener Wohnwagen, davor türmte sich ein Haufen Bierdosen. Igor fragte sich, wem der Wohnwagen gehörte.
    »Eines wissen wir noch immer nicht«, sagte Fred.
    »Was?«
    »Woher er das Katzenfutter hatte.«
    Igor sagte nichts.
    »Vielleicht führt uns die Antwort zum Täter.«
    Igor räusperte sich, dann sagte er: »Meine Mutter.«
    »Hä?«
    »Meine Mutter war’s. Ich habe das Futter im Munzinger-Laden gekauft. Mutter hat jeden Abend einen Stapel Dosen in den Kelleraufgang gestapelt. Schorsch hat sie im Morgengrauen abgeholt.«
    Fred blieb mit offenem Mund stehen.
    »Weitergehen«, flüsterte Igor.
    Fred ging weiter. »Aber«, sagte er, »aber.«
    Igor zuckte mit den Schultern.
    »Aber warum?«
    Igor zuckte mit den Schultern.
    »Hatten die zwei was?«
    Igor verdrehte die Augen. Fred sagte nichts mehr.
    Eine Minute später sahen sie die Scheune. Nirgendwo ein Polizeiauto, geschweige denn ein Täter. Es gibt keinen Täter, dachte Igor. Sowieso war alles anders, als Fred es sich vorstellte. Von Schorschs Leben hatten sie immer nur schmale Stellen scharf gesehen. Wenn er bei ihnen stehen geblieben war und zur Demonstration Korsisch gesprochen hatte, hatten sie kein Wort verstanden. Fred hatte behauptet, das sei kein Korsisch, und überhaupt, seine Mutter, die aus dem Welschland kam, kenne die Korsen, und Schorsch sei zwar ein Vagant, aber kein Korse. Sie hatten nie weiter darüber nachgedacht. Niemand, dachte Igor nun, niemand wird herausfinden, ob Schorsch Schorsch oder der Trick eines anderen gewesen ist.
    »Wir werden noch immer verfolgt«, murmelte Fred.
    »Okay.«
    »Keine Angst. Sie beobachten nur das Kommen und

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