Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Seite der Lebendigen, sein Vater war auf der Seite der Toten. Als er das Grollen hörte, rannte er
     zum Licht. Er rannte und rannte. Er rennt immer noch.
     
    ICH BIN HUND ICH LAUFE ICH LAUFE WEG VOM BÖSEN MANN VOM KÄFIG ICH HÖRE HUNDE BELLEN WÜTENDE HUNDE KNURREN WÜTEND BELLEN SIE
     WOLLEN KÄMPFEN SIE WOLLEN MICH TÖTEN SIE WOLLEN TÖTEN ICH RIECHE HUNDESCHWEISS ICH RIECHE MENSCHENSCHWEISS BÖSER MANN MACHT
     KÄFIG AUF MANN ZERRT HALSBAND MÄNNER SITZEN RAUCHEN REDEN HUNDE BELLEN GRELLES LICHT GROSSER HUND KNURRT WÜTEND ZÄHNEFLETSCHEN
     FELLSTRÄUBEN ER WILL TÖTEN ICH BIN KEIN KAMPFHUND ICH BIN LAUFHUND ICH SPRINGE ICH LAUFE ICH LAUFE ZWEI TAGE ICH FRESSE KEIN
     FLEISCH HUNGER IM BAUCH MACHT MICH VERRÜCKT ICH HABE HUNGER ICH HABE ANGST ICH LAUFE ICH LAUFE ICH BIN HUND
     
    Der Frauenwohnwagen war zwar klein, aber so gemütlich. Ich verliebte mich sofort in ihn. Ich setzte die Tasche ab und stellte
     mich vor.
    »Irina. Aus Kiew.«
    Na gut, bei meiner Ankunft gab es auch weniger erfreuliche |29| Dinge. Jola, die polnische Vorarbeiterin, eine derbe, ungebildete Person mit einer überhöhten Vorstellung ihrer eigenen Wichtigkeit,
     sagte ein paar böse Dinge über die Ukrainer, für die sie sich noch entschuldigen muss. Na gut, ich war ein bisschen enttäuscht
     von den beengten Verhältnissen, und vielleicht war ich deswegen ein wenig taktlos. Aber dann sagten die chinesischen Mädchen,
     dass ich mit ihnen das Bett teilen dürfte, was sehr lieb von ihnen war. Ich wünschte, ich hätte den Mohnkuchen nicht aufgegessen,
     denn in solchen Fällen kann ein kleines Geschenk Wunder bewirken, aber ich hatte noch eine Flasche selbstgemachten Kirschwodka
     für Notfälle dabei, und wenn das kein Notfall war, was dann? Bald waren wir gute Freundinnen.
    Beim Abendessen saßen wir alle zusammen draußen auf dem Hügel, tranken den restlichen Wodka und sahen uns den Sonnenuntergang
     an. Ich war froh, dass noch ein Ukrainer da war – ein netter, wenn auch etwas primitiver Bergarbeiter aus Donezk. Beim Abendessen
     plauderten wir auf Ukrainisch. Polen und Ukrainer können einander auch ganz gut verstehen, obwohl es natürlich verschiedene
     Sprachen sind. Aber ich war ja nach England gekommen, um mein Englisch zu verbessern, bevor ich das Studium an der Universität
     anfing, und deshalb hoffte ich, dass ich bald mehr Engländer kennenlernen würde.
    In der Schule war Englisch mein Lieblingsfach. Ich hatte mir immer vorgestellt, wie ich durch ein Panorama kultivierter Unterhaltungen
     spazieren würde wie durch eine gemalte Landschaft, getupft mit verführerischen Homonymen und geheimnisvollen Subjunktiven:
Would you were wooed in the wood
. Miss Tyldesley war meine Lieblingslehrerin. Bei ihr war sogar englische Grammatik sexy, und wenn sie Byron zitierte, schloss
     sie die Augen, atmete tief durch die Nase und erbebte in jungfräulicher Ekstase, als stiegen ihr |30| von der Buchseite Byrons Pheromone in die Nase. Beherrschung, Miss Tyldesley, bitte! Ich konnte es kaum erwarten, nach England
     zu kommen. Jetzt, dachte ich, fängt das Leben richtig an.
    Nach dem Abendessen kehrte ich in den Wohnwagen zurück und packte meine Tasche aus. An eine freie Stelle an der Wand hängte
     ich das Foto von Mutter und Papa, auf dem sie zu Hause vor dem Kamin stehen. Mutter trägt rosa Lippenstift und einen furchtbaren
     rosa Schal, den sie zu einer, wie sie dachte, modischen Schleife gebunden hat; Papa trägt seine lächerliche orange Krawatte.
     Na gut, sie kleiden sich grässlich, aber sie können nichts dafür, und ich liebe sie trotzdem. Papa hat den Arm um ihre Schulter
     gelegt, und beide lächeln auf diese steife, unsichere Art von Leuten, die nicht mit dem Herzen dabei sind, sondern nur für
     die Kamera posieren. Beim Einschlafen sah ich das Foto an, und mir kamen ein paar rührselige Tränen. Mutter und Papa warteten
     zu Hause auf mich – was gab es da zu heulen?
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war der Wohnwagen von der Sonne durchflutet, und alles sah schon wieder ganz anders
     aus. Die dunklen Gedanken und Ängste von gestern waren fort wie die Geister der Nacht. Draußen am Wasserhahn, wo ich mich
     wusch, glitzerten die Wassertropfen in der Sonne und brachen das Licht in Hunderte von funkelnden Regenbogen, die auf meinen
     Fingern tanzten, kalt und prickelnd. Im Wäldchen hinter mir sang eine Drossel.
    Als sich bei meiner Katzenwäsche die orange Schleife aus meinem Zopf löste und durchs Wasser wirbelte,

Weitere Kostenlose Bücher