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Caroline und der Bandit

Caroline und der Bandit

Titel: Caroline und der Bandit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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einer
Porzellankanne einschenkte. »Sag uns doch, wie es dazu kam, daß du so ganz
alleine auf diesem Waisenzug gereist bist?«
    Caroline
betrachtete düster die Reste der Fleischpastete, des cremigen Kartoffelpürees
und der gebutterten Maiskolben. Auch Lily und Emma waren hungrig, aber alles,
was sie heute bekommen würden, waren ein Stück Brot und ein verschrumpelter
Apfel. Caroline schämte sich plötzlich, gegessen zu haben, während ihre
Schwestern Hunger litten.
    »Caroline?«
drängte Miss Ethel sanft.
    Das Mädchen
atmete tief ein und straffte die Schultern. »Ich war nicht allein«, sagte sie,
den Tränen wieder nahe. »Meine Schwestern waren bei mir – Lily und Emma.«
    Die
Maitlandschwestern wechselten einen betrübten Blick.
    »Mein
Gott!« flüsterte Miss Ethel. »Wir haben sie von ihren Liebsten getrennt,
Phoebe. Sie ist wie ein kleiner Vogel, den man aus dem Nest gerissen hat.«
    Miss Phoebe
tätschelte Carolines Hand. »Von jetzt an werden wir deine Familie sein,
Caroline«, sagte sie tröstend. »Wir reisen nach Westen, wir drei, und richten
uns dort ein wunderschönes Zuhause ein.«
    Miss Ethel
seufzte philosophisch. »Papa nahm uns das Versprechen ab, uns dort um seine
Minenanteile zu kümmern«, erzählte sie, hielt inne und lächelte Caroline
zärtlich an. »Und da Phoebe gleich nach unserer Ankunft Mr. Gunderson heiraten
wird, wäre ich sehr einsam gewesen ohne dich, Caroline.«
    Nach dem
Tee mußte Caroline sich im Salon auf einen Stuhl stellen, und es wurde Maß für
neue Kleider genommen. Obwohl sie noch sehr um Lily und Emma trauerte, begann
Caroline sich doch schon über ihr eigenes Glück zu freuen.
    Optimistisch
zu sein fiel ihr nicht schwer. Bald würde sie mit den freundlichen Schwestern,
die von jetzt an ihre Familie darstellten, nach Westen reisen und dort
irgendwann Lily und Emma wiederfinden. Und dann waren sie alle wieder vereint.

1

    Bolton, Wyoming
    15. April 1878
    Er war
der anrüchigst
aussehende Mann, den Caroline je gesehen hatte, und doch hing jetzt alles von
ihm ab.
    Blinzelnd
nahm sie ein sauber gefaltetes Tuch aus ihrer Manteltasche und wischte ein
Stückchen der schmutzigen Fensterscheibe des Salons sauber, um besser sehen zu
können. Aber wenn sich dadurch überhaupt etwas geändert hatten, wirkte Mr.
Guthrie Hayes jetzt höchstens noch weniger anziehend als zuvor. Und ganz sicher
nicht wie der große Held, als der ihn ihr einer ihrer Schüler mit soviel
Begeisterung beschrieben hatte.
    Der
kräftige Mann, nicht viel größer als Caroline selbst, saß an einem Ecktisch und
war in eine Partie Poker vertieft. Zu sei nen Füßen lag ein ungepflegter
gelber Hund. Mr. Hayes trug Hosen aus grob gewirktem Stoff, ein schlichtes Hemd
aus ungefärbter Baumwolle, Hosenträger und einen Lederhut, der aussah, als
sei er von einem wütenden Tier zuerst zerzaust und dann wieder ausgespuckt
worden. Sein Gesicht war mit Bartstoppeln übersät und eines seiner Augen von
einer schwarzen Klappe verdeckt, die ihm ein draufgängerisches Aussehen verlieh.
    Von seinem
Haar konnte Caroline wegen dem Hut nichts sehen, aber sie vermutete stark, daß
es viel zu lang war. Seufzend befeuchtete sie ihr Taschentuch und wischte ein
größeres Stückchen sauber.
    In diesem
Augenblick mußte einer der Männer an Mr. Hayes' Tisch sie bemerkt und etwas
gesagt haben, denn Guthrie Hayes wandte den Kopf und schaute Caroline direkt in
die Augen. Ein unerklärlicher Schock durchfuhr sie; sie spürte plötzlich, daß
etwas unendlich Schönes und gleichzeitig tödlich Gefährliches von diesem Mann
ausging.
    Tatsächlich
besaß er die Frechheit, sie anzulächeln, ohne dabei die dünne Zigarre, die in
seinem Mundwinkel hing, aus dem Mund zu nehmen. Dabei zeigte er seine
strahlendweißen Zähne, und Caroline mußte zugeben, daß sie das einzige Attribut
waren, das sein Aussehen ein wenig verschönte.
    Mr. Hayes
sagte etwas zu den anderen Männern, legte seine Karten hin und schob seinen
Stuhl zurück. Der Hund folgte ihm auf dem Fuß, als er durch die Schwingtüren
des Saloons auf die Straße trat.
    Caroline
wich erschrocken zurück; ihre Finger zitterten, als sie das beschmutzte
Taschentuch rasch in ihr Retikül stopfte. Doch obwohl sie zutiefst verängstigt
war, straffte sie die Schultern und schob das Kinn vor. Mr. Hayes näherte sich
ihr gelassen, die Zigarre noch immer zwischen seinen Zähnen. Im hellen
Sonnenschein des Aprilnachmittags erkannte Caroline jetzt, daß seine Augen grün
waren und sein Haar,

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