Caroline und der Bandit
Kind?« fragte sie.
Sie mußte husten und hielt sich ein spitzenbesetztes Taschentuch vor den Mund.
Dann fügte sie, an Mrs. Phillips gewandt, hinzu: »Du hast eine gute Wahl
getroffen, Ophelia. Sie ist entzückend.«
Caroline
schluckte, trat zurück und schaute die beiden Schwestern aus großen Augen an.
»Ich muß
sagen, daß sie ziemlich eigensinnig ist«, beschwerte Ophelia Phillips sich,
während sie den Schnee von ihrem dunklen Umhang schüttelte. Trotz ihres abfälligen
Geredes über die Armen machte sie selbst keineswegs einen wohlhabenden Eindruck.
»So sollte
es auch sein«, entgegnete die Frau, die ihnen die Tür geöffnet hatte, und
beugte sich lächelnd zu Caroline vor. »Ich bin Phoebe Maitland«, stellte sie
sich vor und deutete dann auf die Frau in dem blauen Kleid. »Und das ist meine
Schwester EtheL«
Caroline
fand die beiden Damen sympathisch, und trotz des Abschiedsschmerzes, der ihr
das Herz zerriß, war sie froh, daß sie bei ihnen bleiben sollte statt bei der furchteinflößenden
Mrs. Phillips. Sie knickste höflich. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miss
Phoebe ... Miss Ethel.«
Die
Schwestern lächelten entzückt.
Mrs.
Philipps räusperte sich vernehmlich. »Jetzt, wo ich meine Christenpflicht getan
habe«, sagte sie, »kann ich ja wohl wieder meinen eigenen Angelegenheiten
nachgehen.«
Miss Phoebe
dankte Mrs. Phillips herzlich und begleitete sie zur Tür.
»Ich dachte
schon, sie würde mich adoptieren«, gestand Caroline Miss Ethel
flüsternd.
Miss Ethel
lachte. »Nein, mein Kind, beruhige dich. Ophelia ist unsere Nachbarin, und
Phoebe hat sie zum Zug geschickt, weil ich mich nicht wohlfühlte und sie mich
nicht allein lassen wollte.«
Caroline
schaute sich in dem großen, elegant möblierten Raum um. Und das war ganz
offensichtlich nur die Eingangs halle! »Ich war noch nie in einem so großen
Haus«, gestand sie Miss Ethel leise. »Werde ich es saubermachen müssen?«
In diesem
Augenblick kam Miss Phoebe zurück, zitternd vom eisigen Wind, der draußen
wehte. »Ophelia fand wieder einmal kein Ende«, erklärte sie, als sie die
Eingangstür hinter sich schloß.
»Caroline
glaubt, sie müsse unser Haus sauberhalten«, berichtete Etel, und auf ihrer
Miene malte sich Bestürzung ab.
Miss Phoebe
kam zu dem Mädchen und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. »Du liebe
Güte, nein«, versicherte sie mit einem gütigen Lächeln. »Du sollst meiner
Schwester und mir Gesellschaft leisten, wenn wir zu unserem großen Abenteuer
in den Westen reisen.«
Caroline
machte große Augen. Vielleicht bestand ja doch noch Hoffnung, daß sie Lily und
Emma wiedertraf. »In den Westen?«
»Ja, wir
fahren nach Wyoming«, bestätigte Miss Ethel glücklich. »Wir wollen dort ein
ganz neues Leben beginnen.«
Caroline
hatte noch nie etwas von Wyoming gehört, aber sie vermutete, daß es irgendwo im
Westen liegen mußte, in jenem weiten, geheimnisvollen Land, das Lily und Emma
verschluckt hatte. Plötzlich war sie begierig aufzubrechen.
Miss Phoebe
durchquerte mit raschelnden Taftröcken die weite Halle. »Komm Kind«, sagte sie
entschieden, »du mußt doch Hunger haben, und außerdem siehst du schrecklich
aus. Meine Schwester und ich werde zusehen, daß du etwas zu essen bekommst, und
dann überlegen wir uns, was wir mit diesen häßlichen Kleidern machen.«
Trotz der
traurigen Umstände, in denen sie sich befand, hatte. Caroline sich ihren Stolz
bewahrt. Ihre Kleider mochten zwar abgetragen sein, aber sie gehörten ihr, und häßlich waren sie nicht, höchstens ein bißchen schäbig. »Ich brauche nichts«, entgegnete
sie rasch, obwohl sie Miss Phoebe bereitwillig folgte.
Schließlich
betraten sie eine Küche, die größer war, als Caroline sich eine Küche je
vorgestellt hätte. Miss Ethel bot ihr einen Platz an dem riesigen Eichentisch
an, und Caroline setzte sich.
»Natürlich
brauchst du neue Kleider«, sagte Miss Ethel sanft, als sie zu
Caroline an den Tisch kam. »Wie schön es sein wird, für dich zu nähen!«
»Du bist
jetzt unser Kind«, meinte Miss Phoebe resolut und nahm einen Teller von der
Wärmeplatte über dem Ofen. »Meine Schwester und ich werden von jetzt an für
dich sorgen.«
Obwohl
Caroline sich vorgenommen hatte, nichts zu essen, stürzte sie sich voller
Heißhunger auf die Mahlzeit, die Miss Phoebe ihr vorsetzte, begierig, den
quälenden Schmerz in ihrem Magen zu vertreiben.
»Armes
Kind«, meinte Miss Phoebe später mitleidig, als sie duftenden Tee aus
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