Caroline und der Bandit
brachtest.
Er liegt in der oberen rechten Schublade meines Schreibtischs.«
Das
Abendessen war vergessen. Caroline sprang auf und küßte ihren Mann stürmisch.
»Du bist ein Engel, Guthrie Hayes!« rief sie glücklich.
Er lachte
amüsiert. »Das hast du vor einer Stunde nicht gesagt, als ich dich über die
Bettkante ...«
»Guthrie!«
unterbrach Caroline ihn errötend. Aber seine Worte weckten schon wieder das
Verlangen in ihr, von neuem seine Aufmerksamkeiten zu genießen. Dennoch gab sie
sich entrüstet, als er ihr beim Aufstehen einen Klaps auf den Po versetzte.
Sie fand
den Brief am angegebenen Platz und las ihn, bis sie jedes Wort auswendig
wiederholen konnte, vom Datum bis zum Gruß am Schluß des Briefes.
Am nächsten
Morgen übertrug Guthrie seinem Vorarbeiter die Aufsicht über die Mine, und die
Familie Hayes bestieg einen Zug nach Osten. Mary begleitete sie, um sich um die
Kinder zu kümmern. Caroline war voller Hoffnung, obwohl sie sich bemühte, sie
zu bändigen, um keine Enttäuschungen zu erleiden.
Tagelang
reisten sie und verbrachten ihre Nächte in einem Schlafwagenabteil, das nicht
größer war als ein geräumiger Schrank. Caroline hielt die Spannung kaum noch
aus.
Als sie in
Chicago ankamen, wollte sie nicht einmal warten, bis sie ein Hotelzimmer
gefunden hatten. Sie bestand darauf, sofort eine Kutsche zu besteigen, und
Guthrie schaute schmunzelnd zu, wie sie ihre Söhne nährte, während die Kutsche
auf die Adresse zuratterte, die Kathleen in ihrem Brief angegeben hatte.
Caroline
beugte sich weit aus dem Fenster, als sie ihr Ziel erreichten, und entdeckte
eine weitere Kutsche, die vor dem Haus parkte.
Ihre eigene
war kaum zu einem Halt gekommen, als sie schon hinaussprang und über den
Bürgersteig zum Tor lief.
Guthrie
folgte ihr nicht, aber Caroline wußte, daß er da war, um ihr
Kraft und Unterstützung zu vermitteln, was immer auch geschehen mochte.
Sie hatte
das Haus noch nicht erreicht, als sie die Pianoklänge und die zwei Stimmen
hörte, die in vollkommenem Einklang miteinander sangen. Tränen schossen ihr in
die Augen, ein heiseres Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, als sie die vertrauten
Worte aus ihrer Kindheit hörte:
Three flowers bloomed in the meadow,
Heads bent in sweet repose,
The daisy, the lily and the rose ...
Nachdem sie ihre Tränen abgewischt hatte,
drückte Caroline die Haustür auf, ohne anzuklopfen, und folgte den Klängen
der melodischen Stimmen durch einen Bogengang in einen Raum.
Dort
erblickte sie Lily, schlank, blond, unfaßbar schön und mit Tränen in den Augen.
Am Piano saß Emma mit ihrem herrlichen kupferfarbenen Haar und ihren
wunderschönen blauen Augen.
Als ihre
beiden Schwestern den Reim wiederholten, stimmte Caroline mit ein, und Emma und
Lily wandten sich um und starrten sie verblüfft an.
»Caroline!«
riefen beide Schwestern dann wie aus einem Munde und schauten sie an, als
könnten sie nicht fassen, daß sie wirklich da war. Und dann, zum ersten Mal
seit vierzehn Jahren, umarmten sich die Schwestern, und alle drei schluchzten
und weinten vor lauter Freude und Glück.
»Wo hast du bloß gesteckt?« wollte Lily wissen, als sie sich alle ein wenig beruhigt
hatten.
»Oh, das
ist eine lange Geschichte«, erwiderte Caroline strahlend, küßte Emma und Lily
auf die Wange und wunderte sich, daß eine derart freudige Überraschung
überhaupt erträglich war. Beide Arme um ihre Schwestern gelegt, führte sie sie
zu einem nahen Sofa. Alle drei setzten sich, und die restliche Welt war für den
Moment vergessen.
»Ich hörte,
daß du von einem schrecklichen Mann entführt worden bist, der einen Hund
besitzt, der Alkoholiker ist!« bemerkte Lily mit großen, erstaunten Augen.
Caroline
lachte. »Ich habe den Mann geheiratet und den Hund geheilt«, erwiderte sie und
erzählte ihren Schwestern, was in all den Jahren, in denen sie sich nicht
gesehen hatten, geschehen war. Sie schloß ihre Erzählung mit dem Bericht von
der Geburt ihrer beiden Söhne.
Lily saß
zwischen Emma und Caroline und hielt ihre Hände. »Und du, Emma?« fragte sie.
»Wo hast du all diese Jahre gesteckt?«
Emma
lächelte und trocknete ihre Tränen mit einem feinen Spitzentaschentuch. »Ich
verliebte mich in einen Rebellen«, sagte sie. »Wir haben jetzt ein schönes Heim
in New Orleans und ein kleines Mädchen, das ich nach euch beiden benannt habe.«
Lily lachte
entzückt, und Caroline erinnerte sich, daß ihre Schwester sich schon immer über
die einfachsten Dinge
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