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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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Dieses Konzert war seine große Chance, ein Superstar zu werden.
    Eine unscheinbare Tür öffnete sich wenige Meter neben dem Haupteingang. Ein Geist mit pausbäckigem Gesicht und glänzendem, zurückgegeltem Haar steckte den Kopf heraus und sagte: »Psst! Mr Trevor! Wir haben schon auf Sie gewartet – hier entlang!«
    Adam lief zu der Tür mit der Aufschrift
Künstlereingang
hinüber und huschte in einen spärlich beleuchteten Backstage-Flur. Der Geist war klein, rundlich und trug einen tadellos sitzenden Smoking. Er verbeugte sich.
    »Es ist mir eine außerordentliche Freude, Sie endlich kennenzulernen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, ich führe Sie gleich zur Bühne wegen des Soundchecks.«
    Er zog einen kastanienbraunen Samtvorhang beiseite. Die Bühne war leer, abgesehen von einem Klavier und einem Mikrofon.
    »Ich spiele Klavier«, sagte Adam.
    Der Mann lächelte. »Selbstverständlich tun Sie das. Und wir haben ein volles Haus heute Abend, also spielen Sie sich besser ein wenig ein. Bitte.« Der Mann deutete mit ausgestreckter Hand in den leeren Zuschauerraum. Adam betrat die Bühne, seine Schritte hallten durch den riesigen Saal.
    Ich bin Adam Trevor. Ich spiele Klavier. Ich bin Adam Trevor. Ich singe.
    Er setzte sich auf die Holzbank und schlug mit der Linken eine weiße Taste an. Der tiefe Ton klang unheilvoll, wie ein Grollen aus der Unterwelt. Dann klimperte er eine fröhliche dreitönige Melodie mit der Rechten. Anschließend kombinierte er beide, improvisierte einen Song über eine miesepetrige alte Gewitterwolke, die der Freund eines Backenhörnchens wird.
    Die Hand eines Mädchens packte sein Handgelenk, ehe er eine besonders brillante Akkordfolge auflösen konnte. Er hob den Blick von den Tasten. Das Mädchen kam ihm bekannt vor – sie war hübsch, trotz ihres lausigen Kleidergeschmacks –, möglicherweise ein alter Fan oder jemand, den er noch aus der Mittelschule für Darstellende Künste kannte?
    »Musst ja nicht gleich den Beruf wechseln«, sagte sie.
    Irgendwie erinnerte ihre Stimme ihn an einen Traum, den er kürzlich gehabt hatte: eine überstürzte Flucht, eine Reise nach Norden, ein Loch mitten im Waldboden.
    »Wie bist du hier reingekommen?«
    »Ambrose«, sagte sie, »was ist los mit dir?«
    Um das Mädchen herum schwärzten sich die Schatten im Saal und krochen über den Bühnenboden. Er blickte hinaus auf die leeren Reihen roter Sitze, nur schwach beleuchtet von den kugeligen Lampen in der Kuppeldecke darüber. Dieser Ort wurde ihm langsam unheimlich.
    »Ich bin’s – Mistletoe!« Peitschenartig schwang sie einen lockeren blauen Zopf nach vorn über ihre Schulter. Eine mächtige Duftwolke beißender Gewürze hüllte ihn ein, und er hustete.
    Er glaubte, sich an ihre erste Begegnung zu erinnern. Ja: Es war in einer subsphärischen Gasse gewesen. Aber was hatte er bloß in einem der Viertel da unten zu suchen gehabt?
    Mistletoe rüttelte ihn heftig an der Schulter. »Du heißt Ambrose Truax. Wir sind zusammen diesen zwei Cops entwischt. Dann haben uns die grusligen alten Brüder geschnappt. Magnus und Ivor, weißt du noch? Und dann sind wir getrennt worden. Du bist
Ambrose

    Er schob sich von seinem Sitz, wich kopfschüttelnd langsam vor ihr zurück. »Mein Name ist Adam«, murmelte er. »Ich werde hier heute Abend singen. Ich muss mich einspielen.« Die Worte in seinem Mund fühlten sich falsch an, so als würde jemand anders sie aus ihm heraussenden.
    Im Zuschauerraum gingen die Lichter aus. Raues Geflüster kam von den Sitzen.
    »Wir müssen hier weg«, sagte sie.
    »Aber hier gehöre ich hin«, sagte er schwach. »Ich bin glücklich hier.« Doch er glaubte es nicht. Er wusste nicht, wo er hingehörte.
    Mistletoe zerrte an seinem Ärmel. Aus den dunklen Sitzreihen prasselten Stimmen herab.
    »Sing!«
    »Mach schon, Adam, spiel für uns!«
    »Wir lieben dich!«
    Mistletoe sagte: »Hör nicht hin.« Ruckartig zog sie an seinem Arm und zerrte ihn weg von der Klavierbank. Er winkte seinen unsichtbaren Fans zu, während sie ihn zurück durch den Samtvorhang schleifte.
    »Sind wir Freunde?«, fragte er. Er hatte das unheimliche Gefühl, dass sie ihn nicht sonderlich mochte.
    »Nicht hier drin.«
    Sie stürmten durch den Künstlereingang hinaus in das helle Tageslicht. Er folgte ihr weg von dem UniCorp-Auditorium und einen Hügel hinauf, wo das hohe Gras ihm um die Beine strich. Auf der Kuppe des Hügels stand eine Gruppe von Kiefern. Mistletoe führte ihn in deren schattige Mitte

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