Carre, John le
Uhr fünfzig die Straße hinunter. Trug Grigoriew seine Mappe in
der rechten Hand, dann wußte Toby, daß nichts im Busch war. Die Linke bedeutete
jedoch »Alarm« mit einem Blitztreff in den Gärten von Schloß Elfenau und einer
Ausweichlösung in der Stadt. Am Montag und Dienstag benützte Grigoriew über die
ganze Strecke nur die rechte Hand. Doch am Mittwoch schneite es, er wollte
seine Brillengläser abwischen, blieb also stehen und suchte nach dem
Taschentuch. Ergebnis: Toby sah zuerst die Mappe in seiner Linken, raste um den
Block, um sich nochmals zu vergewissern, und siehe da, Grigoriew grinste ihn an
wie ein Irrer und winkte ihm mit der Mappe zu, die er in der Rechten hielt.
Toby hatte, nach seinen eigenen Worten, >einen totalen Herzanfall<. Am
nächsten Tag, dem entscheidenden Donnerstag, brachte Toby in dem kleinen Dorf
Allmendingen, vor den Toren der Stadt, einen Autotreff mit Grigoriew zustande
und konnte direkt mit ihm sprechen. Eine Stunde zuvor war der Kurier Krassky
gekommen und hatte Karlas wöchentliche Order gebracht: Toby hatte ihn bei
Grigoriew ins Haus gehen sehen. Wo sind also die Instruktionen aus Moskau?
fragte Toby. Grigoriew war aufsässig und ein wenig betrunken. Er verlangte
zehntausend Dollar für den Brief, was Toby so wütend machte, daß er Grigoriew
mit allen möglichen Bloßstellungen bedrohte; er würde ihn zur nächsten
Polizeiwache bringen und ihn persönlich anzeigen, weil er sich als Schweizer
ausgab, weil er seinen Status als Diplomat mißbrauchte, weil er die Schweizer
Zollgesetze verletzte und noch wegen fünfzehn anderer Dinge einschließlich
Hurerei und Spionage. Der Bluff funktionierte, Grigoriew rückte den bereits
behandelten Brief heraus, die Geheimschrift trat deutlich lesbar zwischen den handgeschriebenen
Zeilen hervor. Toby machte mehrere Aufnahmen davon und gab ihn dann Grigoriew
zurück.
Die Fragen aus Moskau, die Toby
spät am Abend Smiley bei einem ihrer seltenen Treffen in einer Landgaststätte
zeigte, hatten einen flehenden Klang:
». . . berichten Sie ausführlicher
über Alexandras Aussehen und Geistesverfassung ... Ist sie bei Verstand? Lacht
sie und klingt ihr Lachen glücklich oder traurig? Hält sie sich reinlich,
saubere Fingernägel, Haar gebürstet? Wie lautet der letzte Befund des Arztes,
empfiehlt er irgendeine andere Behandlung?«
Doch Grigoriews Hauptsorge bei
ihrem Treffen in Allmendingen galt weder Krassky noch dem Brief, noch dem
Verfasser des Briefes. Seine Freundin aus der Visa-Abteilung habe ihn wegen
seiner Freitagsausflüge zur Rede gestellt. Daher seine Depression und sein
betrunkener Zustand. Grigoriew hatte ausweichend geantwortet, aber er hatte
sie im Verdacht, eine Spionin aus Moskau zu sein, die entweder der Priester
oder, schlimmer noch, irgendein Organ des Staatssicherheitsdienstes auf ihn angesetzt
hatte. Toby teilte zufällig diese Vermutung, hatte aber den Eindruck, daß
nichts damit ausgerichtet wäre, wenn er es sagte.
»Ich habe ihr gesagt, ich würde
erst wieder mit ihr ins Bett gehen, wenn ich ihr völlig trauen könnte«, sagte
Grigoriew ernsthaft. »Ich bin mir auch noch nicht ganz sicher, ob sie mich nach
Australien begleiten und mit mir ein neues Leben anfangen darf.« »George, das
ist ein Narrenhaus!« sagte Toby zu Smiley in einem Furioso von Bildern, während
Smiley weiterhin Karlas drängende Fragen studierte, ungeachtet der Tatsache,
daß sie in Russisch abgefaßt waren. »Hören Sie, wie lange meinen Sie, daß wir
den Damm noch halten können? Der Kerl ist total übergeschnappt!«
»Wann fliegt Krassky nach Moskau
zurück?«
»Samstagmittag.«
»Grigoriew muß vor seinem Rückflug
ein Treffen mit ihm vereinbaren. Er soll Krassky sagen, er habe eine
Sonderbotschaft für ihn. Eine dringende.«
»Klar«, sagte Toby. »Klar, George.«
Und damit hatte es sich.
Wo weilte George in seinen
Gedanken? fragte sich Toby, während er Smiley wieder einmal in der Menge
verschwinden sah. Karlas Instruktionen an Grigoriew schienen Smiley aus dem
Häuschen gebracht zu haben. »Ich war eingeklemmt zwischen einem komplett
Schwachsinnigen und einem total Depressiven«, lautet Tobys Urteil über diese
aufreibenden Tage.
Während Toby wenigstens über die
Flausen seines Herrn und seines Agenten stöhnen konnte, hatte Smiley nichts
Gleichwertiges zum Zeitvertreib, und dieser Mangel schien ihm zu schaffen zu
machen. Am Donnerstag fuhr er mit der Bahn nach Zürich und aß in der
Kronenhalle mit Peter Guillam zu Mittag, der auf
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