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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Nagel auf den Kopf getroffen. Sieh mal, oft, wenn ich unversehens in sein Zimmer trete, es liegt mir natürlich daran, ihn zu überraschen, aber da hockt er dir manchmal in der Ecke – es ist sonderlich anzuschauen. Ich weiß nicht, ist er so geistesabwesend oder stellt er sich nur so, aber wenn er mich dann bemerkt, verändert sich sein Gesicht blitzschnell zu der heuchlerischen Grimasse von Freundlichkeit, die einen leider entwaffnet. Einmal hab’ ich ihn sogar am hellichten Tag bei heruntergelassenen Rouleaus gefunden. Was kann das bedeuten? Es steckt eben was dahinter.«
    »Was soll denn dahinter stecken?« fragte die Lehrerin.
    Quandt zuckte die Achseln und seufzte. »Das mag Gott wissen,« sagte er. »Bei alledem mag ich ihn leiden,« schloß er mit versorgtem Stirnrunzeln; »ich mag ihn gut leiden, er ist ein aufgeweckter und trätabler Bursche. Man muß aber sehen, was dahinter steckt. Es ist etwas Unheimliches um den Menschen.«
    Die Lehrerin, die sich für die Nacht frisierte, war des Schwatzens müde. Ihr hübsches Gesicht hatte den Ausdruck eines dummen, schläfrigen Vogels, und ihre auffallend nah beieinander stehenden Augen blinzelten matt ins Kerzenlicht. Plötzlich ließ sie den Kamm ruhen und sagte: »Horch mal, Quandt.«
    Quandt blieb stehen und lauschte. Caspars Zimmer lag über dem ehelichen Schlafgemach, und sie vernahmen nun in der eingetretenen Stille die unaufhörlich auf und ab gehenden Schritte ihres rätselhaften Hausgenossen.
    »Was mag er treiben?« meinte die Frau verwundert.
    »Ja, was mag er treiben,« wiederholte Quandt und starrte finster zur Decke. »Ich weiß nicht, mir wurde immer gesagt, daß er mit den Hühnern schlafen geht; ich merke nichts davon. Nun siehst du’s, da soll man sich auskennen. Jedenfalls wollen wir ihm das Spazierengehen bei Nacht abgewöhnen.« Quandt öffnete leise die Tür und schlich auf Pantoffeln vorsichtig hinaus. Vorsichtig schlich er die Treppe empor, und als er vor Caspars Tür angelangt war, versuchte er durchs Schlüsselloch zu spähen, aber da er nichts sehen konnte, legte er in derselben gebückten Stellung das Ohr ans Schloß. Ja, da wandelte er herum, der Unerforschliche, wandelte herum und schmiedete seine dunkeln Pläne.
    Quandt drückte die Klinke, die Tür war versperrt. Da erhob er seine Stimme und forderte energisch Ruhe. Sogleich ward es drinnen mäuschenstill.
    Als nun der Lehrer wieder zu seiner Frau kam, fand sich, daß mit unerwarteter Plötzlichkeitderen schwere Stunde angebrochen war. Schon lag sie stöhnend auf dem Bett und verlangte nach der Hebamme. Quandt wollte die Magd schicken; die Frau sagte: »Nein, das geht nicht, geh du selber, die Person ist blöde und wird den Weg verfehlen.« Wohl oder übel mußte sich Quandt dazu entschließen, so unbequem auch die Sendung war, denn erstlich hatte er sich aufs Bett gefreut, zweitens fürchtete er sich ein wenig vor dem Gang durch die finstern Gassen, war doch erst zu Pfingsten hinter der Karlskirche ein Rechnungsakzessist überfallen und halb erschlagen worden.
    Verdrossen hastete er in die Kleider; hierauf holte er die Magd aus den Federn und befahl ihr, eine befreundete Nachbarin zu rufen, die sich im Notfall zur Hilfeleistung erboten hatte, dann schlurfte er wieder herein, durchkramte die Truhe nach seinen Pistolen, wobei er das Nähtischlein umwarf, was ihn wieder derart in Verzweiflung setzte, daß er mit den Händen seinen Kopf packte und sein unseliges Los verwünschte. Die Frau, der das Elend schon den Sinn verrückte, entnahm ihrem Zustand den Mut, ihm allerlei sonst feig zurückgehaltene Aufrichtigkeiten zuzuschleudern, welche ihn im besondern und das Mannsvolk im allgemeinen trafen. Das hatte die beste Wirkung, und nachdem er sein kleines Söhnchen, das nebenan schlief und von dem Tumult erwacht war, in die Magdkammer getragen hatte, trollte er sich endlich.
    Caspar, im Begriff sich niederzulegen, vernahm auf einmal mit Schaudern die schmerzensvolle Stimme der Frau unten. Immer furchtbarer wurden die Laute, immer greller drangen sie herauf. Dann war es wieder eine Zeitlangstille, dann knarrte die Haustüre, Schritte gingen, Schritte kamen, und nun begann das Schreien viel ärger. Caspar dachte, ein großes Unglück sei passiert; sein erster Trieb war, sich zu retten. Er lief zur Tür, sperrte auf und eilte die Stiege hinab. Die Wohnzimmertüre war offen, überheizte Luft quoll ihm entgegen. Die Magd und die Nachbarin standen geschäftig am Bett der Frau Quandt; diese

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