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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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sich vor meiner Garbe.« Da antworten die Brüder: »Willst du denn König werden über uns? willst du herrschen über uns?« Und sie hassen ihn noch mehr wegen seiner Träume. Aber Joseph ist sehr arglos, er scheint den Grund ihrer Abneigung nicht zu ahnen, er erzählt ihnen alsbald einen zweiten Traum, nämlich wie die Sonne, der Mond und elf Sterne sich vor ihm beugten. Ein Traum von leichter Deutbarkeit, denn elf ist die Zahl der Brüder. Sogar der Vater schilt ihn wegen dieses Traumes. »Was denkst du, Joseph,« spricht er vorwurfsvoll, »soll ich und deine Mutter und deine Brüder, sollen wir kommen, uns vor dir zu beugen?« Und bald darauf gehen die Brüder, die alle Hirten sind, aufs Feld, um die Schafe zu weiden, und Joseph wird von seinem Vater zu ihnen gesandt. Und wie die Brüder ihn von ferne sehen, sprechen sie zueinander: »Seht, da kommt der Träumer.« Und sie beschließen ihn zu erwürgen, sie wollen ihn in eine Grube werfen und vorgeben, ein wildes Tier habe ihn verzehrt; »dann werden wir ja sehen, was aus seinen Träumen wird,« sagen sie hohnvoll. Da ist aber einer unter den Brüdern, der Erbarmen hat, und er warnt die andern. Er rät ihnen, den Jüngling in die Grube zu werfen,ihn jedoch nicht zu töten. Und so geschieht es auch; sie ziehen ihm den Rock aus, den bunten Rock, den er trägt, und werfen den Knaben in die Grube, und als dies vollbracht ist, erscheint ein Zug von Kaufleuten aus fernem Land, und die Brüder einigen sich jetzt, den Joseph zu verkaufen, und sie verkaufen ihn um Geld. Dann nehmen sie Josephs Kleid, tauchen es in das Blut eines geschlachteten Tieres und sprechen zum Vater: »Das blutige Kleid haben wir gefunden, sieh doch, ob es nicht deines jüngsten Sohnes Kleid ist.« Der Alte zerreißt sein Gewand und ruft aus: »Trauernd will ich hinunterfahren zu meinem Sohn in die Unterwelt.«
    Als Caspar so weit gekommen war, versagte ihm die Stimme. Er stand auf, legte das Buch beiseite, und seine Brust ward von Seufzern nur so geschüttelt. Die Hand vor den Mund gepreßt, erstickte er mit großer Anstrengung das heraufquellende Schluchzen.
    Quandt stutzte. Er beobachtete den Jüngling scharf. Er hatte dabei den schrägen Blick einer an den Pfahl gebundenen Ziege. »Hören Sie mal, Hauser,« sagte er endlich. »Sie werden mir doch nicht weismachen wollen, daß Sie von dieser simpeln Geschichte so ergriffen sind, die Ihnen noch dazu wohlbekannt sein muß; meines Wissens haben Sie ja diesen Teil des Alten Testaments schon beim Professor Daumer durchgenommen. Da muß Ihnen doch auch gegenwärtig sein, daß es dem Joseph noch recht glücklich ergangen ist, denn er war ein reiner und guter Mensch. Ich bitte, sparen Sie sich also die Mühe. Wenn Sie pflichtgetreu, aufrichtig und folgsam sind, werden Sie bei mir zehnmalbesser fahren als durch die unzeitige Schaustellung von so weit hergeholten Affekten. Ich glaube Ihnen Ihre Tränen einfach nicht; ich denke Ihnen das heute schon einmal deutlich genug bewiesen zu haben. Damit erzielen Sie bei mir nur das Gegenteil von dem, was Sie beabsichtigen mögen, ich bin nämlich kein Freund von Gefühlsausbrüchen, im allgemeinen nicht, und bei so ungegründetem Anlaß schon gar nicht. Es ist nachgerade Zeit für Sie, sich an den Ernst des Lebens zu gewöhnen. Und weil wir nun schon so offen miteinander reden, möchte ich Sie dringend warnen, alle Leute, mit denen Sie zu tun haben, für dumm zu halten; das ist eine Verblendung von Ihnen, welche die nachteiligsten Folgen haben wird. Ich bin Ihnen wohlgesinnt, Hauser, ich meine es wahrhaft gut mit Ihnen, vielleicht haben Sie keinen bessern Freund als mich, was Sie freilich erst einsehen werden, wenn es zu spät sein wird. Aber hüten Sie sich, mich hinters Licht zu führen! Und nun fahren wir fort. Ich will diesen Zwischenfall als nicht geschehen betrachten.«
    Im Verlauf dieser eindrucksvollen Predigt war die Stimme des Lehrers weich und gütig geworden, und es hatte beinahe den Anschein, als wolle er nun Caspar nehmen und an sein Herz drücken. Aber Caspar stand mit albernem Gesicht, in welchem ein Lächeln hilflos zuckte, vor ihm da. Was ist denn das? dachte er, was will der Mann?
    Es war ihm, auch bei späterem Nachdenken, ganz und gar nicht verständlich, worauf die Worte des Lehrers hinzielten, und er kam zu der Ansicht, daß Quandt der rätselhafteste Mensch sei, dem er je begegnet.

Schloß Falkenhaus
    Der Präsident traf erst am Dreikönigstag, nach fast vierwöchiger Abwesenheit, wieder

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