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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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in der Stadt ein. Die ihm nahestehenden Personen wollten eine bedeutende Veränderung seines Wesens an ihm bemerken; er erschien wortkarg und finster, und sein Anteil an den Amtsgeschäften hatte bisweilen etwas von Lauheit.
    Es fiel auf, daß er mehrere Tage verstreichen ließ, ehe er sich nach Caspar erkundigte. Als ihn der Hofrat Hofmann während des gemeinsamen Nachhausewegs unbefangen fragte, ob er den Jüngling schon gesehen habe, gab Feuerbach keine Antwort. Tags darauf erschien der Polizeileutnant bei ihm. Hickel stellte sich um die Sicherheit des Hauser besorgt und meinte, man solle für eine Überwachung sorgen; der Präsident ging auf die Sache nicht weiter ein und sagte bloß, er werde sich’s überlegen. Am selben Nachmittag ließ er den Lehrer rufen und stellte ihn über Befinden und Betragen seines Zöglings zur Rede. Quandt sagte dies und sagte das; es war nicht schwarz noch weiß; zum Schluß zog er einen Brief aus der Tasche, es war das Schreiben der Magistratsrätin Behold, welches dem Präsidenten zu überreichen er sich entschlossen hatte.
    Feuerbach überlas das Schriftstück, und eine Wolke von Mißmut lagerte sich auf seine Stirn. »Sie müssen auf derlei Zeug kein Gewicht legen, lieber Quandt,« sagte er barsch, »wo kämen wir denn hin, wenn wir auf das Gewäsch jeder solchen Närrin hören wollten? Sie haben sich nicht mit der Vergangenheit des Hauser zu beschäftigen, das ist nicht Ihres Amts; ich habeSie dazu bestellt, einen tüchtigen Menschen aus ihm zu machen, wenn Sie in der Hinsicht zu klagen haben, bin ich ganz Ohr, mit andern Dingen verschonen Sie mich.«
    Es läßt sich denken, daß eine so grobe Abfertigung die Empfindlichkeit des Lehrers tief verletzte. Er ging erbittert heim, und obwohl ihm der Präsident den Auftrag gegeben hatte, Caspar am Sonntag früh zu ihm zu schicken, teilte er dies dem Jüngling erst zwei Tage später, am Samstag abend, mit.
    Als Caspar zur bestimmten Stunde ins Feuerbachsche Haus kam, mußte er im Flur ziemlich lange warten, dann erschien erst Henriette, die Tochter des Präsidenten, und führte ihn ins Wohnzimmer. »Ich weiß nicht, ob der Vater Sie heute empfangen wird,« sagte sie und erzählte dann, in der vergangenen Nacht sei ein Einbruch in das Arbeitszimmer des Präsidenten verübt worden; die unbekannten Täter hätten alle Papiere auf dem Schreibtisch durchwühlt und mit Nachschlüsseln die Laden geöffnet; es sei anzunehmen, daß die Verbrecher irgend bestimmte Briefe oder Handschriften hätten an sich bringen wollen, denn es sei nichts geraubt worden, auch die gewünschte Beute hätten sie nicht machen können, da der Vater seine wichtigen Papiere gut verwahrt habe; nur die erbrochenen Fenster und eine gewaltige Unordnung habe von ihrem Treiben Zeugnis gegeben.
    Das Fräulein schritt während dieses Berichts in männlicher Weise auf und ab, die Arme über der Brust verschränkt, Groll und Zorn in Stimme und Miene. Sie sagte, der Vater sei natürlich außer sich über den Vorfall; währenddessen öffnetesich die Tür und der Präsident trat in Begleitung eines schlanken, etwa dreißigjährigen jungen Mannes auf die Schwelle. »Aha, da ist Caspar Hauser, Anselm,« sagte der Präsident. Der Angeredete stutzte und blickte Caspar gedankenvoll und zerstreut ins Gesicht. Caspar war betroffen von der außergewöhnlichen Schönheit dieses Menschen; wie er später erfuhr, war es der zweitälteste Sohn Feuerbachs, der, verfolgt von einem widrigen Geschick, für einige Tage ins Elternhaus geflüchtet war, um Rat und Hilfe seines Vaters in Anspruch zu nehmen. Caspar liebte schöne Gesichter, zumal wenn sie so voll Geist und Schwermut waren, bei Männern ganz besonders; aber es war dies nur eine kurze Erscheinung, er sah ihn nicht wieder.
    Der Präsident ließ Caspar ins Staatsgemach treten und kam erst nach einer Weile. Sofort fiel Caspars Blick auf das Napoleonbildnis an der Wand. Wie wunderlich es war: solche Ähnlichkeit im Ausdruck der stolz-abweisenden Majestät und der finsteren Trauer um die anmutig geschwungenen Lippen mit jenem Mann, den er soeben gesehen! Dazu noch der prunkvolle Ornat, Krone, Halsschmuck und Purpurmantel. Caspar war bewegt; eine höhere Welt tat sich ihm auf; am liebsten wäre er hingegangen, um, was an dem Bild gestalthaft schien, mit Händen zu packen und, was ihn so hoheitsvoll daraus anredete, in laute Zwiesprach zu verwandeln. Unwillkürlich reckte er sich auf, als zwinge ihn die königliche Figur zur Nachahmung; er

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