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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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schrie nach ihrem Mann, schrie zu Gott und bäumte sich auf.
    Ach, was sah Caspar da! Wie ward ihm doch zumute! Ein Köpflein sah er, einen weißen kleinen Rumpf, ein ganzes winziges Menschlein, emporgehoben mit Händen, die nicht kleiner waren als es selbst! Alle Glieder zitterten an Caspar, er wandte sich um, und ohne daß ihn jemand erblickt, floh er die Stiege hinauf, sank auf dem obersten Treppenabsatz atemlos hin und blieb sitzen.
    Wieder ging die Haustür, Quandt erschien mit der Wehfrau, doch schon stürzte ihm die Nachbarin jubelnd entgegen: »Ein Töchterlein, Herr Lehrer!«
    »Ei, sieh da!« rief Quandt mit einer Stimme, so stolz, als hätte er dabei etwas Nennenswertes geleistet.
    Piepsendes Geplärr bestätigte die Anwesenheit der neuen Weltbürgerin. Nach einer Weile kam trällernd die Magd, und Caspar sah, daß sie eine Schüssel voll Blut trug.
    Es mochte in allem nicht mehr denn eine Stunde verflossen sein, als Caspar sich endlich erhob und in seine Kammer taumelte. Wie betrunken entkleidete er sich, wühlte sich in die Betten und vergrub das Gesicht.
    Er konnte nichts dawider tun: aus der Nachterhob sich gleich einer purpurnen Scheibe die Schüssel voll Blut.
    Er konnte nichts andres sehen als dies: aus einem blutigen Schlund krochen junge Wesen und wurden Menschen genannt. Nackend und winzig, einsam und hilflos und unter dem Jammer der Mutter krochen sie wehevoll aus einem Kerker ohnegleichen, wurden geboren, ja, geboren, sowie die Mutter ihn geboren.
    Das ist es also, dachte Caspar. Er spürte das Band, begriff den Zusammenhang, fühlte seine Wurzeln tief in der blutenden Erde, alles starre Leben regte sich, das Geheimnis war entschleiert, die Bedeutung offenbar.
    Doch Mitleid und Grauen, Sehnsucht und Furcht waren nun eines, Leben und Sterben zu einem Namen verschmiedet. Er wollte nicht einschlafen und schlief ein, aber je näher der Schlummer kam, eine je qualvollere Todesangst umfing ihn, so daß er sich nur widerstrebend ergab: ein banger kleiner Tod im Leben.
    Da er am Morgen über die gewohnte Stunde ausblieb, verwunderte sich Quandt, ging hinauf und pochte an der Tür. Obgleich er das Zimmer vom Abend her versperrt wußte, drückte er auf die Klinke, fand jedoch zu seinem Erstaunen die Tür unverschlossen. An Caspars Bett tretend, rüttelte er ihn und sagte ärgerlich: »Nun, Hauser, Sie fangen ja an, ein Siebenschläfer zu werden. Was ist’s denn?«
    Caspar setzte sich auf, und der Lehrer sah, daß das Kopfkissen ganz naß war; er deutete hin und fragte, was das sei. Caspar besann sich ein wenig und antwortete, es sei vom Weinen, er habe im Schlaf geweint.
    Was, geweint? dachte Quandt argwöhnisch; warum geweint? wieso weiß er es denn so schnell, wenn er im Schlaf geweint hat? und warum hat er so lange gewartet, bis ich mich entschlossen, ihn zu holen?
    Dahinter steckt eine Finte, entschied Quandt, er will mich milde stimmen. Forschend schaute er sich um, und sein Blick fiel auf das Wasserglas, das auf dem Nachttischlein stand. Er nahm das Glas und hob es prüfend empor, es war halb leer. »Haben Sie Wasser getrunken, Hauser?« fragte er düster.
    Caspar sah ihn verständnislos an. Der Blick des Lehrers, von dem Glas auf das Kissen gleitend, bekam einen vorwurfsvollen Ausdruck. »Sollten Sie nicht aus Versehen das Wasser verschüttet haben?« fragte er weiter; »ich sage: aus Versehen und meine durchaus nichts andres, Sie können freimütig mit mir reden, Hauser.«
    Caspar schüttelte langsam den Kopf; er verstand nicht, was der Mann wollte.
    Verstockt, verstockt, dachte Quandt und gab das Verhör auf. Als Caspar zum Unterricht ins Wohnzimmer kam, teilte ihm Quandt in geziemender Würde mit, daß ihm eine Tochter geschenkt worden sei.
    »Wieso geschenkt?« fragte Caspar naiv.
    Quandt runzelte die Stirn. Die Gleichgültigkeit, mit welcher der Jüngling ein solches Ereignis aufnahm, verdroß ihn sehr. Seine Haltung war kalt und förmlich, als er sagte: »Wir beginnen wie gewöhnlich mit der Bibelstunde. Lesen Sie Ihr Pensum vor.«
    Es war die Geschichte Josephs.
    Da ist ein alter Mann, der viele Söhne hat, aber den jüngsten unter ihnen am meisten liebt und ihm einen bunten Rock gibt, um ihn auszuzeichnen. Deswegen hassen ihn nun die Brüder und wollen nicht mehr freundlich mit ihm reden. Und Joseph erzählt ihnen einen Traum von den Garben. »Siehe, wir banden Garben auf dem Felde«, erzählt er, »da stand meine Garbe auf und blieb stehen und siehe, eure Garben waren ringsum und beugten

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