Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
unbedingt hätte in Anspruch nehmen müssen. Indes fand er es für gut, im Beisein seiner Frau nichts weiter zu bemerken, sondern ihn ungestört auf sein Zimmer gehen zu lassen.
    Ungefähr fünf Minuten später ergriff Quandt das lateinische Elementarbuch und folgte Caspar. Caspar hatte die Tür schon zugeriegelt, und bevor er öffnete, fragte er, ob der Lehrer noch etwas wünsche. »Machen Sie auf!« befahl Quandt kurz. Als er drinnen war, las er ihm einige willkürlich herausgerissene Sätze vor und ersuchte ihn zu sagen, wie er es übersetzt habe. Caspar schwieg eine Weile, dann entgegnete er, er habe bloß präpariert, er wolle erst jetzt übersetzen. Quandt blickte ihn ruhig an, sagte ausdrucksvoll: »So,« wünschte gute Nacht und entfernte sich.
    Drunten erzählte er den Sachverhalt seiner Frau, und sie kamen überein, daß dahinter ein bübischer Trotz stecke, weiter nichts. Am andern Morgen berichtete er auch dem Hofrat darüber, dieser schrieb ein kurzes Briefchen an Caspar und gab es dem Lehrer mit. Caspar las das Schreiben in Quandts Gegenwart, und als er zu Ende war, reichte er es dem Lehrer, sichtlich verstimmt.In dem Brief warnte ihn der Hofrat schonend vor Eigenschaften, denen nur gemeine Naturen sich überließen, die jedoch, so war der Wortlaut, »unserm Hauser leider nicht fremd zu sein scheinen«.
    Am selben Abend, wiederum nach dem Nachtmahl, brachte Quandt eines der Übungshefte Caspars zum Vorschein und sagte: »Aus diesem Heft ist ein Blatt herausgeschnitten, Hauser. Sie wissen doch, daß ich Ihnen das schon zahllose Male verboten habe.«
    »Ich hatte in das Blatt einen Flecken gemacht, und den wollte ich nicht in der Schrift haben,« versetzte Caspar.
    Statt aller Antwort forderte Quandt den Jüngling auf, mit ihm in sein Studierzimmer zu kommen. Seiner Frau sagte er, sie möge die Kerze anzünden, ergriff die Lampe und schritt voran. Im andern Zimmer angelangt, schloß er sorgfältig beide Türen, hieß Caspar Platz nehmen und begann: »Sie werden mir doch wohl nicht zumuten, daß ich Ihre Ausrede für bare Münze nehme?«
    »Was für eine Ausrede?« fragte Caspar matt.
    »Nun, das mit dem Flecken. Ich glaube nicht an diesen Flecken.«
    »Warum wollen Sie es denn nicht glauben?«
    »Sie kennen doch das Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Sie, lieber Freund, lügen öfter als einmal.«
    »Ich lüge nicht,« erwiderte Caspar ebenso matt und tonlos.
    »Das getrauen Sie sich mir ins Gesicht zu behaupten?«
    »Ich weiß nicht, daß ich lüge.«
    »O, schelmischer Rabulist!« rief Quandt bitter. »Wenn ich Ihre häufigen Unwahrheiten nicht jedesmal berede, so bestimmt mich dazu die nach und nach gewonnene Einsicht, daß ich Sie von dem Übel doch nicht heilen kann. Wozu also soll ich mich vergeblich grämen? Sie sind gewohnt, so lange nein zu sagen, bis man Sie dermaßen überführt hat, daß Sie nicht mehr nein sagen können, und dann sprechen Sie dennoch kein Ja.«
    »Soll ich ja sagen, wenn nein ist? Beweisen Sie mir, daß ich gelogen habe.« Caspar sah den Lehrer mit einem jener Blicke an, die dieser als tückisch zu bezeichnen pflegte.
    »Ach, Hauser, wie schmerzt es mich, Sie mir gegenüber so zu sehen,« versetzte Quandt. »Ich bin um Beweise nicht verlegen und habe so viele, daß ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Erinnern Sie sich nicht an die Geschichte mit dem Leuchter? Sie behaupteten, die Handhabe sei abgebrochen, und es ist doch unwiderleglich nachgewiesen, daß sie abgeschmolzen war?«
    »Es war so, wie ich gesagt habe.«
    »Damit lasse ich mich nicht abspeisen. Sie können übrigens versichert sein, daß ich mir den Vorfall mit allem Fleiß notiert habe, nämlich schriftlich, um nötigenfalls vollständige Rechenschaft über Sie geben zu können.«
    Caspar machte ein sehr betroffenes Gesicht; er schwieg.
    »Und weiter, betrachten wir einen Fall jüngsten Datums,« fuhr Quandt fort; »es war doch einerlei, ob Sie vorgestern mit der Übersetzung fertig waren oder ob Sie sie erst im Zimmer machen wollten. Da Sie tagsüber beschäftigt waren,so konnten und durften Sie die Arbeit abends machen. Warum sagten Sie, Sie seien fertig, während Sie nicht das geringste daran getan hatten?«
    »Ich habe gemeint, Sie fragen, ob ich präpariert hätte.«
    »Lächerlich. Sie hatten neulich schon die Frechheit, meine Worte einfach zu verdrehen. Ich habe deutlich gefragt: Haben Sie Ihre Übersetzung gemacht? Meine Frau war zugegen und

Weitere Kostenlose Bücher