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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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versprochen, am nächsten, sondern erst am zweitfolgenden Tag. Als er ins Zimmer trat, redete der Lehrer gerade mit zornigen Gebärden auf Caspar ein. Auf die Frage des Hofrats, was Caspar verbrochen habe, sagte Quandt: »Ich muß mich doch gar zu viel mit ihm herumärgern. Vorgestern stellte ich ihm ein Thema für den deutschen Aufsatz, er versprach mir, es auszuarbeiten, und er hatte den ganzen gestrigen Nachmittag dazu Zeit. Soeben verlang’ ich nun sein Heft, und hier, überzeugen Sie sich selbst, Herr Hofrat, auch nicht eine Zeile hat er geschrieben. Eine solche Trägheit ist himmelschreiend.«
    Quandt reichte dem Hofrat das aufgeschlagene Heft: oben auf einer Seite stand der Titel des Aufsatzes: Tue deinen Feinden Gutes, damit du feurige Kohlen auf ihrem Haupt sammelst; danach kam aber nichts und die Seite war leer. »Warum haben Sie’s denn nicht gemacht?« fragte der Hofrat kühl.
    Caspar antwortete: »Ich kann nicht.«
    »Das müssen Sie können!« rief Quandt. »Vorgestern haben Sie mir ja erzählt, daß der Gegenstand in Ihrem Lesebuch behandelt ist, eine Gedankenfolge zu finden, hätte Ihnen also nicht schwerfallen können, wenn Sie dort angeknüpft hätten.«
    »Probieren Sie’s doch einmal, Hauser,« fiel der Hofrat besänftigend ein. »Schreiben Sie meinetwegen nur ein paar Sätze nieder. Ich werde mich mit dem Herrn Lehrer ins Nebenzimmer begeben, und wenn wir zurückkommen, sollen Sie uns irgend etwas vorzeigen und den Beweis liefern, daß Sie wenigstens den guten Willen haben.«
    Quandt nickte und ging mit dem Hofrat hinaus. Als sie im Wohnzimmer waren, übergab der Hofrat dem Lehrer zwei Golddukaten und sagte, die seien von Frau von Imhoff, der er Caspars Verlegenheit geschildert habe; die gütige Dame habe sich noch hoch entschuldigt, daß es nur so wenig sei, aber sie habe über das Geld keine freie Verfügung. »Übrigens war der Hauser gestern bei mir,« fuhr der Hofrat fort, »und zwar kam er, um mich zu bitten, ich möchte es doch verhindern, daß er dem Polizeileutnant in Pflege gegeben werde.«
    »Es ist doch des Teufels; er belästigt alle Leute mit seinen kindischen Miseren,« klagte Quandt, »auch mich hat er schon darum angegangen.«
    »Vor dem Hickel scheint er ja eine Heidenangst zu haben.«
    »Ja, der Polizeileutnant ist eben sehr streng mit ihm.«
    »Ich sagte ihm, daß von meiner Seite eine solche Absicht nicht vorliege, und er möge nur seine Pflicht tun, dann werde ihm niemand zu nahe treten.«
    »Sehr wahr.«
    »Wir redeten noch über seine Geldkalamität, und da wollte er nicht mit der Farbe heraus. Ich versprach, ihm zu seinem Geburtstag fünf Taler zu schenken, und fragte ihn, wann er Geburtstag habe. Darauf antwortete er traurig, das wisse er nicht, und ich muß gestehen, es war da etwas in seinem Wesen, was mich rührte. Aber sonst schien er mir doch gar zu schmeichlerisch, und sein freundlich Geblinzel und Getue mißfiel mir.«
    »Leider, leider, schmeichlerisch ist er, da haben Sie recht, Herr Hofrat; besonders wo er seine Pläne durchsetzen will.«
    Nach diesem Meinungsaustausch kehrten sie wieder zu Caspar zurück. Er saß am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt. »Na, was haben Sie fertiggebracht?« rief der Hofrat jovial. Er nahm das Heft, stutzte, da er nur einen einzigen Satz geschrieben fand, und las vor: »Wenn sie dir Übles an deinem Körper zugefügt haben, tue ihnen Gutes dafür.« – »Das ist alles, Hauser?«
    »Sonderbar,« murmelte Quandt.
    Der Hofrat stellte sich vor Caspar hin, drehte den Kopf gegen die Schulter und begann unvermittelt: »Sagen Sie mal, Hauser, wen haben Sie denn eigentlich von allen Menschen, die Sie bisher kennen gelernt haben, am meisten liebgewonnen?« Sein Gesicht sah pfiffig aus; er hatte von seinem Amt als Gerichtsfunktionär die Manier behalten, auch das Harmlose mit einem Ausdruck von säuerlichem Spott zu äußern.
    »Stehen Sie doch auf, wenn der Herr Hofrat mit Ihnen spricht,« flüsterte der Lehrer Caspar zu.
    Caspar stand auf. Er blickte ratlos vor sich hin. Er witterte eine Falle hinter der Frage. Er dachte plötzlich: Wahrscheinlich ist der Lehrer darum so böse, daß ich den Aufsatz nicht gemacht habe, weil er glaubt, ich halte ihn für meinen Feind. Er schaute zu Quandt hinüber und sagte versonnen: »Den Herrn Lehrer hab’ ich am liebsten.«
    Der Hofrat wechselte mit Quandt einen Blick des Einverständnisses und räusperte sich bedeutsam.
    Aha, ein Bestechungsversuch, dachte Quandt und war stolz darauf, nicht im

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