Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Pflege.«
»Damit werden Sie mir bloß einen Gefallen erweisen,« erwiderte Quandt und verließ hochaufgerichtet das Zimmer.
Die Lehrerin blieb mit gesenkten Augen sitzen. Hickel marschierte hastig auf und ab und trocknete mit dem Ärmel seine Stirn. »Wie mir nur ist, wie mir nur ist,« murmelte er fast verstört. Dann wandte er sich wieder schimpfend an Caspar. »Unglückseliger, verdammt Unglückseliger! Was für ein Teufel hat Sie geritten! Übrigens,« fügte er leise hinzu und stellte sich neben Caspar, »der Bursche ist verhaftet und wird ausgeliefert. Kommt auf die Plassenburg, der Kerl.«
»Das ist nicht wahr,« sagte Caspar, ebenfalls leise, gedehnt und etwas singend. Er lächelte, dann lachte er, ja, er lachte, wobei sein Gesicht stark erbleichte.
Hickel wurde stutzig. Er kaute an seiner Lippe und sah düster ins Leere. Plötzlich griff er nach seiner Kappe, und mit einem bösen, eiligen Blick auf Caspar entfernte er sich.
Quandt war nicht gesonnen, den Schimpf, den ihm der Polizeileutnant angetan, auf sich sitzen zu lassen. Er beschwerte sich beim Hofrat Hofmann, doch dieser schien nicht sehr bereit, sich einzumischen. Der Lehrer nahm die Gelegenheit wahr, noch eine andre Sache zum Austrag zu bringen.
Seit Feuerbachs Tod hatte der Hofrat die Oberaufsicht über Caspars Pflege. Auf eine Hilfe wie die vom Grafen Stanhope war nicht mehr zu rechnen, man hatte den Bürgermeister Enders und die Gemeinde um Unterstützung angegangen, aber ein Beschluß war noch in der Schwebe. Einstweilen erhielt Caspar vom Gericht eine kleine Lohnerhöhung für seine Schreiberei; das Geld lieferte er pünktlich dem Lehrer ab. Die beschränkten Verhältnisse erlaubten ihm nicht die geringste Freiheit in seinen Ausgaben. Anfangs Oktober war er konfirmiert worden, und mit Sehnsucht erwartete er das sogenannte Taggeld, das ihm von der Stadt dafür ausgesetzt war. Ungehalten über die Verschleppung, wandte er sich an den Pfarrer Fuhrmann; dieser riet ihm, er solle den Lehrer ersuchen, aufs Gemeindeamt zu gehen, um die Auszahlung zu betreiben.
»So etwas tu’ ich nicht, Herr Hofrat, ich mache nicht den Bittsteller, mein Stolz erlaubt das nicht,« sagte Quandt.
Der Hofrat zuckte die Achseln. »Geben Sie ihm doch die paar Taler einstweilen aus Ihrer Tasche,« sagte er, »man wird’s Ihnen gewiß bald ersetzen.«
»In Hinsicht auf den Hauser gibt es keine Gewißheiten,« versetzte Quandt; »ich habe ohnehinAuslagen genug und weiß nicht, ob ich noch lange so zusehen kann.«
Der Hofrat überlegte. »Er hat doch wohlhabende und reiche Freunde,« sagte er dann, »die können doch helfen.«
»Ach du lieber Gott,« seufzte der Lehrer, »denen ist er viel zu interessant, als daß sie an seine kleine Notdurft denken.«
»Ich will einmal morgen zu Ihnen kommen und den Hauser fragen, wozu er denn eigentlich so dringend Geld braucht,« schloß der Hofrat das Gespräch.
Des Abends kam Caspar noch spät in Quandts Zimmer und flehte ihn mit aufgehobenen Händen an, ihn doch nicht aus dem Haus zu geben, er wolle ja alles tun, was man von ihm verlange; »nur nicht zum Polizeileutnant, alles, nur das nicht,« sagte er.
Der Lehrer beruhigte ihn nach Kräften und sagte, davon könne vorläufig keine Rede sein, der Polizeileutnant habe ihn bloß schrecken wollen. »Nein,« antwortete Caspar, »auch der Offiziant Maier hat heute auf dem Gericht davon gesprochen.«
»Nun, Hauser, jetzt gebärden Sie sich aber wie ein kleiner Knabe und sind doch schließlich ein erwachsener Mann,« sagte Quandt tadelnd. »Ich kann das nicht ganz ernst nehmen, Sie lieben es zu übertreiben und sich kindisch zu stellen. Der Polizeileutnant würde Ihnen auch nicht den Kopf abbeißen, wennschon ich zugebe, daß er bisweilen etwas derbe Manieren hat. Aber Sie sind ja jetzt auch ein Christ in des Wortes voller Bedeutung, und ohne Zweifel haben Sie den Spruch schon gehört: Tue deinenFeinden Gutes, damit du feurige Kohlen auf ihrem Haupt sammelst.«
Caspar nickte. »Es steht ein Gesätzlein darüber in Dittmars ›Weizenkörnern‹,« erwiderte er.
»Ganz recht; wir haben es ja zusammen durchgenommen,« fuhr Quandt lebhaft fort. »Wissen Sie was! Damit Sie das schöne Merkwort genau im Gedächtnis behalten, schlage ich Ihnen vor, mir Ihre eignen Gedanken darüber niederzuschreiben. Ich will es meinetwegen als ein Pensum für sich betrachten und Sie können den ganzen morgigen Nachmittag dazu verwenden.«
Caspar schien einverstanden.
Der Hofrat kam nicht, wie er
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