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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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ich zu meinem Auftrag von Ihrer Mutter bevollmächtigt bin.«
    Caspar rührte sich nicht. Nur sein ganzer Körper schwankte ein wenig, als wäre er erstarrt und der Wind drohe ihn umzublasen.
    »Darf ich dies alles als abgemacht ansehen?« fragte der Fremde.
    Er mußte die Frage wiederholen. Da nickte Caspar – ernsthaft, schwer, und auf einmal war ihm die Kehle wie verbrannt.
    »Werden Sie sich zur bestimmten Stunde am bestimmten Platze einfinden, mein Prinz?«
    Mein Prinz! Caspar wurde leichenblaß. Er schaute wieder die Blatternarben mit verzehrender Aufmerksamkeit an. Dann nickte er abermals, mit einer Bewegung, die den Schein von Kälte oder von Verschlafenheit hatte.
    Der Fremde lüpfte mit demutsvoller Höflichkeit den Hut; hierauf ging er und verschwand in der Richtung gegen die Schwanengasse.
    Während des ganzen Auftrittes, der etwa acht bis zehn Minuten gedauert hatte, war also nicht ein einziges Wort aus Caspars Lippen gekommen.
    War es Freude, die Caspar empfand? War Freude so beschaffen, daß einen dabei fror bis ins Mark? Daß beständig Schauder über den Rücken liefen wie kaltes Wasser?
    Er machte immer nur ein halb Dutzend Schritte und hielt dann inne, weil er glaubte, der Erdboden sinke unter seinen Füßen. Menschen, gehtmir aus dem Weg, dachte er; weh mich nicht an, Schnee; Wind, sei nicht so wild. Er betrachtete seine Hand und berührte mit der Spitze seines Fingers starr nachdenklich die Stelle, auf die der Fremde ihn geküßt.
    Warum arbeiten die Schustergesellen noch, es ist ja Mittagszeit, grübelte er, als er im Vorbeigehen in einen Laden blickte. Unaufhörlich rannen die Schauder über den Nacken herab.
    Es war schön, zu wissen, daß mit jedem Schritt, mit jedem Blick, mit jedem Gedanken Zeit verging. Denn darum handelte es sich jetzt ganz allein: daß die Zeit verging.
    Als er nach Hause kam, sagte er zur Magd, er wolle nichts essen, und sperrte sich in seinem Zimmer ein. Er stellte sich ans Fenster, und während ihm die Tränen über die Backen liefen, sagte er: »Dukatus ist gekommen.«
    Seine Gedanken hatten etwas von einem nächtlichen Flug wilder Vögel. Bis heute war ich Caspar Hauser, dachte er, von morgen an bin ich der andre; und was bin ich jetzt? Gestern war ich noch ein Schreiberlein, und morgen werd’ ich vielleicht einen blauen Mantel tragen, mit goldenen Borten verziert; auch einen Degen soll mir Dukatus bringen, lang und schmal und aufrecht wie ein Binsenhalm. Aber ist denn alles wahr, kann es denn sein? Freilich kann es sein, weil es doch sein muß.
    Erst als es völlig finster war, zündete Caspar das Licht an. Die Lehrerin schickte herauf und ließ fragen, ob er nichts zu sich nehmen wolle. Er bat um ein Stück Brot und ein Glas Milch. Dies wurde gebracht. Sodann fing er an, seine Laden auszuräumen; einen ganzen Stoß vonPapieren und Briefen warf er ins Feuer, die Schreibhefte und Bücher ordnete er mit peinlicher Sorgfalt. Er öffnete eine Truhe und zog unter mancherlei Kram das Holzpferdchen hervor, das er noch von der Gefangenschaft auf dem Vestnerturm her besaß. Er betrachtete es lange; es war weiß lackiert, mit schwarzen Flecken, und hatte einen Schweif, der bis auf das Brettchen fiel. O Rößlein, dachte er, hast mich manches Jahr begleitet, was wird nun aus dir? Ich will wiederkommen und dich holen, und einen silbernen Stall werd’ ich dir bauen. Damit stellte er das Spielding behutsam auf ein Ecktischchen neben dem Fenster.
    Es mag füglich wundernehmen, daß ein Gemüt wie das seine, so mit Ahnung begabt, so mit Erfahrungen vielerlei Art gefüllt, vom ersten Augenblick der vermeintlichen Wandlung seines Schicksals in eine dermaßen blinde Gläubigkeit verfiel, daß auch nicht ein Funke des Mißtrauens, der Furcht oder nur des zweifelnden Staunens in ihm erglomm. Ein Vorgang, so weit außerhalb des gebundenen Wirklichen, so abenteuerlich in seiner Plötzlichkeit, so zierdelos und simpel, daß ein Schüler, ein Kind, ein Verrückter daran Anstoß genommen hätte, und er, dem so viele Menschengesichter unvermummt oder durch Schuld entmummt gegenübergetreten waren, er, dem die Welt nichts andres war, als was der Schwalbe, die vom Süden kommt, das durch Bubenhände zerstörte Nest, er ergriff mit unerschütterlicher Zuversicht die unbekannte Hand, die sich aus unbekanntem Dunkel ihm entgegenstreckte, die starre, kalte, stumme Hand.
    Aber bei ihm war keine andre Hoffnung mehr.Oder es war überhaupt von Hoffnung keine Rede. Hier war das selbstverständlich

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