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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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vorübersprechend, gegen Daumer. »Was ist denn bewiesen von den Mutmaßungen törichter Köpfe?« fragte er gellend. »Nichts ist bewiesen. Fest steht nur, daß aus irgendeinem gottverlassenen Dorf in den fränkischen Wäldern sich ein Bauerntölpel in die Stadt verirrt, daß er nicht ordentlich sprechen kann, daß ihm alle Werke der Kultur unbekannt sind, das Neue neu, das Fremde fremd erscheint. Und darüber geraten einige kurzsichtige, sonst ganz wackere Männer außer sich und nehmen die plumpen Aufschneidereien des geriebenen Landstreichers für bare Münze. Wunderliche Verschrobenheit!«
    »Ganz wie der Polizeirat Merker,« konnte sich der Archivdirektor nicht enthalten zu bemerken. Auch Pfisterle wollte dawiderreden, wurde aber durch eine energische Kopfbewegung des Herrn von Tucher zum Schweigen gebracht.
    Plötzlich wurde von der Straße draußen das Rollen einer Kutsche hörbar. Direktor Wurm gingzum Fenster, und nachdem der Wagen vor dem Haus gehalten hatte, sagte er: »Der Staatsrat kommt.«
    »Wie?« entgegnete Daumer rasch. »Herr von Feuerbach?«
    »Ja, Herr von Feuerbach.«
    In seiner Benommenheit versäumte Daumer die Pflicht des Hausherrn, und als er sich aufraffte, um den Präsidenten zu empfangen, stand dieser schon auf der Schwelle. Mit seinem Imperatorenblick überflog er die Gesichter aller Anwesenden, und als er den Archivdirektor gewahrte, sagte er lebhaft: »Gut, daß ich Sie treffe, lieber Wurm, ich habe etwas mit Ihnen zu sprechen.«
    Er trug die einfache Kleidung eines Privatmannes, und außer einem kleinen Ordenskreuz neben dem Halsaufschlag des Rockes war keinerlei Schmuck an ihm zu sehen. Die außerordentlich stolze Haltung des gedrungenen, massigen Körpers und das steif Aufrechte, soldatisch Gebietende seines stets etwas zurückgeworfenen Hauptes erweckten ehrfurchtsvolle Scheu; sein Gesicht, auf den ersten Anblick dem eines verdrießlichen alten Fuhrmanns ähnlich, wurde durch die dunkelglühenden Augen, in denen die Unrast geistiger Leidenschaften lag, und durch die festgeschlossenen, kühngebogenen Lippen geadelt.
    Er machte nicht den Eindruck eines Mannes, der viel Zeit hat. Trotz der Würde, die ihm sein Amt verlieh und die er nicht verringerte, hatte sein Auftreten etwas Heftiges, und in der Art, wie er die im Zimmer Versammelten begrüßte, war Förmlichkeit und Strenge enthalten. Es wirkte darum erschreckend auf alle, als ihm Caspar ungezwungen entgegentrat und ihm vonselbst die Hand hinstreckte, die Feuerbach auch ergriff, ja sogar eine Zeitlang in der seinen behielt.
    Caspar war es wunderlich wohl geworden, seit der Präsident eingetreten war. Er hatte oft an ihn gedacht, seit er mit ihm auf dem Gefängnisturm gesprochen hatte, und seit dem ersten Händedruck liebte er besonders die Hand des Präsidenten, eine warme, harte, trockene Hand, die sich wohlverschloß beim Gruß, als ob sie glaubwürdige Versprechungen gäbe, und die eigne Hand ruhte dabei so sicher in ihr wie der müde Körper abends im Bett.
    Daumer geleitete den Präsidenten und den Direktor Wurm in sein Studierzimmer und kehrte dann zurück. Die fremden Gäste schickten sich an zu gehen, sie hatten durch die Dazwischenkunft Feuerbachs etwas von ihrer überlegenen Haltung verloren. Caspar wollte der Dame in den Mantel helfen, doch sie machte eine abwehrende Geste und folgte eilig ihren Begleitern. Herr von Tucher und Pfisterle entfernten sich ebenfalls.
    Caspar nahm ein Schreibheft aus der Lade und setzte sich zur Lampe, um seine lateinische Arbeit anzufertigen, da kamen der Präsident und Direktor Wurm wieder ins Zimmer. Feuerbach ging auf Caspar zu, legte die Hand auf sein Haar, bog den Kopf des Jünglings leicht zurück, so daß der Lampenschein voll in Caspars Gesicht fiel, betrachtete seltsam lange und mit bohrender Aufmerksamkeit das seinem Blick stillhaltende Antlitz und murmelte endlich, gegen Wurm gewendet, tief atmend: »Keine Täuschung. Es sind dieselben Züge.«
    Der Archivdirektor nickte stumm.
    »Das und die Träume ... zwei wichtige Indizien,« sagte der Präsident mit dem gleichen Ton von Vertieftheit. Er schritt zum Fenster, die Hände auf dem Rücken, und sah eine Weile hinaus. Darauf wandte er sich zu Daumer und fragte unvermittelt, wie es mit Caspars Ernährung stehe.
    Daumer erwiderte, er habe in letzter Zeit versucht, ihn an Fleischkost zu gewöhnen. »Zuerst hat er sich sehr gewehrt, auch hat es den Anschein nicht, als ob die veränderte Diät ihm sehr zuträglich sei. Es ist sogar zu

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