Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
erschienen, saß er noch immer auf seinem Fleck und blieb auch da. Wahrscheinlich hatte es seine Neugierde gereizt, daß ihm Daumer den Namen einer der drei Personen mitgeteilt hatte; es war dies ein damals vielgelesener Schriftsteller aus dem Norden des Reichs. Die andern beiden waren eine holsteinische Baronin und ein Leipziger Professor, der auf einer Romreise begriffen war; ein Unternehmen, welches zu jener Zeit, wenigstens in Nürnberg, einem Mann den Nimbus eines kühnen Forschers verlieh.
Daumer empfing die Herrschaften sehr liebenswürdig, und nachdem er Caspar herbeigeholt hatte, zündete er trotz der frühen Stunde die Lampe an, denn der Nebel lag dicht wie graue Wolle vor den Fenstern. Der Leipziger Professorzog Caspar in eine Unterhaltung, aber er sprach mit ihm wie von Turmeshöhe herunter. Auch ließ er keinen Blick von ihm, und die gelblichen Augen hinter den kreisrunden Brillengläsern schimmerten bisweilen boshaft. Währenddem kamen noch Herr von Tucher und der Archivdirektor, ließen sich den Fremden vorstellen und nahmen auf dem Sofa Platz.
»In deinem Kerker war es also immer dunkel?« fragte der Romfahrer und strich langsam seinen Bart.
Caspar antwortete geduldig: »Dunkel, sehr dunkel.«
Der Schriftsteller lachte, worauf ihm der Professor vielsagend mit dem Kopf zunickte.
»Haben Sie den Unsinn gehört, der hier in der Stadt über seine fürstliche Abkunft geredet wird?« ließ sich jetzt die holsteinische Baronin hören, deren Stimme wie aus einem Kellerloch kam.
Der Professor nickte wieder und sagte: »In der Tat, es werden hier starke Zumutungen an die Leichtgläubigkeit des Publikums gestellt.«
Eine Zeitlang schwiegen alle, wie von einem Schuß erschreckt. Endlich entgegnete Daumer mit heiserer Stimme und mit der Höflichkeit eines schlechten Komödianten: »Was veranlaßt Sie, meine Ehre zu beschimpfen?«
»Was mich veranlaßt?« prasselte der cholerische Herr auf. »Diese Gaukelfuhr veranlaßt mich dazu. Der Umstand, daß man ein ganzes Land skrupellos mit einem albernen Märchen füttert. Muß denn der gute Deutsche immer wieder das Opfer von Abenteurern
à la
Cagliostro werden? Es ist eine Schmach.«
Herr von Tucher hatte sich erhoben und blickte dem Aufgeregten mit so unverhohlener Geringschätzung ins Gesicht, daß dieser plötzlich schwieg.
»Wir sind natürlich überzeugt,« mischte sich der Schriftsteller, ein klapperdürrer Herr mit kahlem Schädel, vermittelnd ein, »daß Sie, Herr Daumer, im besten Glauben handeln. Sie sind Opfer, wie wir alle.«
Jetzt konnte sich Pfisterle, den die Wut förmlich aufgeschwellt hatte, nicht länger halten. Mit geballten Fäusten sprang er vom Stuhl empor und schrie: »Ja, zum Teufel, warum sollen wir uns denn das gefallen lassen? Da kommen sie her, niemand hat sie gerufen, kommen her, um dagewesen zu sein und mitreden zu können, haben von Anfang an alles besser gewußt, und wenn sie blind wie die Maulwürfe sind, werfen sie sich noch stolz in die Brust und rufen: Wir sehen nichts, also ist nichts da. Warum soll denn das ein Unsinn sein, geehrte Dame, was man von seiner Abstammung erzählt? Warum denn, bitte? Leugnen Sie etwa, daß hinter den Mauern, wo unsre Großen wohnen, sich Dinge ereignen, die das Tageslicht zu scheuen haben? Daß dort die Verträge des Bluts für nichts geachtet und Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wenn der Vorteil eines Einzelnen es erheischt? Soll ich mit Tatsachen dienen? Sie können es nicht leugnen. Bei uns wenigstens sind die paar Dutzend Männer noch nicht vergessen, die ihre mutige Freiheitsfahne durch das Land getragen und mit brennenden Fackeln in die Lügendämmerung der Paläste geleuchtet haben.«
»Genug, genug!« unterbrach der Professor den rabiaten Zeitungsmann. »Mäßigen Sie sich, Herr!«
»Ein Demagoge!« sagte die Baronin und stand mit erschrockenen Augen auf. Der Archivdirektor heftete einen vorwurfsvollen und kühlen Blick auf Daumer, der den Kopf gesenkt und die Lippen eigensinnig geschlossen hatte. Als er emporschaute, blieb sein Auge mit gerührtem Ausdruck auf Caspar ruhen, der frei und arglos dastand, den lächelnden klaren Blick von einem zum andern gleiten ließ, nicht als ob von ihm gesprochen würde und er daran teilhätte, sondern als ob das bewegte Spiel der Mienen und Gebärden lediglich seine Schaulust erwecke. In der Tat verstand er kaum, wovon die Rede war.
Der Leipziger Professor hatte seinen Hut ergriffen und wandte sich noch einmal, an Pfisterle
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