Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
düstere Turm barg die größten Schrecknisse seines Lebens, und wenn er auf die Stadt niederschaute, wo zwinkernde Lichter aus vielen Fenstern das dunkelverschlungene Gassengewirr belebten, vernahm er mit ganz andern Gefühlen die Stundentöne der Glocke; jetzt band und einte die Zeit ihre Schläge und zerriß sie nicht mehr zu Pausen des Grauens.
Der Lord wurde nicht müde zu erzählen. Er erzählte von seinen Reisen. Er verstand es, Dinge und Begebenheiten mit einfachen Worten zu malen. Caspar erfuhr von den Alpen und daß dort Berge mit ewigem Schnee seien und glückliche Täler, wo freie Menschen lebten. Er sah Italien – das Wort war schon ein Rausch –,geschmückte Kirchen, enorme Paläste, Gärten mit wunderbaren Statuen, voller Rosen, Lorbeer und Orangen, einen märchenhaft blauen Himmel und die schönsten Frauen. Er sah das Meer und Schiffe mit blanken Segeln auf der Flut. Seine Sehnsucht wurde so groß, daß er manchmal plötzlich lachen mußte. Einmal wirklich dort sein dürfen in den Ländern der Sonne und der unbekannten Früchte, dort sein dürfen, und das bald, solche Hoffnung machte das Herz stillstehen. Es war eine Freude, die weh tat.
An einem regnerischen Abend befanden sie sich im Hotel. Der Lord öffnete eine Truhe und zeigte einiges von den Schätzen, die er auf seinen Reisen gesammelt. Da waren seltene Münzen und Steine; Kupferstiche, Statuetten, Gemmen, Kameen, Perlen und altertümliches Geschmeide; ein geweihter Rosenkranz aus dem Heiligen Land; ein silberner Becher mit kunstvoll gravierten Figuren; eine Bibel mit den herrlichsten Initialen und Malereien, ein Damaszenerdolch mit goldenem Griff, der Siegelring eines Papstes, ein indischer Mantel aus Seide, bestickt mit Sternen; ein pompejanisches Lämpchen und altfranzösische Porzellanväschen und vieles andre, alles seltsam, alles fremdartig, alles mit einem Duft von weiter Welt und großem Schicksal.
»Das habe ich vom Kurfürsten von Mainz bekommen,« sagte der Lord etwa, »und dies ist ein Geschenk des Herzogs von Savoyen; diese schöne Miniature habe ich bei einem Händler in Barcelona gekauft, und dies Tonfigürchen stammt aus Syrakus. Da ist ein Talisman, den hat mir Scheik Abderrahman verehrt, und diese orientalischen Stoffe hat mir meine Base ausSyrien geschickt; sie ist eine wunderliche Person, zieht mit Arabern und Beduinen durch die Wüste, schläft in Zelten und treibt Alchimie und Astrologie.«
Welche Laute, welche Fernen! Mit offenbarer Lust schürte der Graf das Feuer des Verlangens in Caspar. Vielleicht nahm er es mit seinen Verheißungen ernst. Vielleicht bereitete es ihm bloß eine Wonne, Wunsch und Lüste aufzupeitschen. Vielleicht war es nur ein Spiel der Rede. Vielleicht aber das furchtbare Vergnügen, dem Vogel im Bauer, im nie zu öffnenden, so lange vom Flug durch den goldnen Äther zu erzählen, bis endlich der jubelnde Freiheitsgesang durch seine Kehle bricht.
Wie er sprach, wie er die Worte besaß! Zwischen den Lippen und den weißen Zähnen spielte das Lächeln wie ein listiges Tierchen. Er war nicht gleichmäßig heiter. Was war das? Oft zog Finsternis über sein Gesicht. Bisweilen pflegte er aufzustehen und wie ein Lauscher an die Tür zu treten. Seine Liebkosungen waren nicht selten voll Schwermut, dann saß er wieder schweigend da, und sein suchender Blick glitt düster an dem Jüngling vorüber. Da faßte Caspar einmal Mut und fragte: »Bist du denn eigentlich glücklich, Heinrich?«
»Glücklich, Caspar? O nein. Glücklich, was sprichst du da? Hast du schon von Ahasver gehört, dem ewigen Juden, dem ewigen Wanderer? Er gilt als der unglücklichste aller Menschen. Ach, ich möchte mein Leben vor dir aufblättern, denn auf seinen dunkeln Seiten liegt der Gram. Aber ich darf nicht, ich kann nicht. Später vielleicht, wenn dein eignes Geschick sich entschieden hat, wenn du mit mir in meine Heimat gehst ...«
»Ist denn das möglich, wird denn das sein?«
Es schüttelte den Lord plötzlich; es war, als werfe er einen Mantel ab oder wolle sich einem unsichtbaren Druck entziehen. Eine krampfhafte Lebendigkeit ergriff ihn, er begann von Caspars künftiger Größe zu sprechen, doch wie stets nur in geheimnisvollen Wendungen und mit der feierlichen Ermahnung zur Verschwiegenheit. Ja, er sprach von Caspars Reich, von seinen Untertanen, und das zum erstenmal, wie einem Zwang gehorchend, selber schaudernd, selbst zitternd, immer von neuem das Gelöbnis des Schweigens betonend, hingerissen von einem Phantom
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