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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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ein sonniger Sonntagnachmittag; der Himmel lagblaustrahlend über dem fächrigen Geschiebe der roten Dächer, zwitschernde Schwalben schossen längs der grauen Häuserfronten hin. Als Caspar in das Zimmer trat, veränderte Stanhope langsam die Richtung seines Blickes, und ohne jenen eigentlich anzusehen, schien er doch das ganze Bild des Menschen in sich festzuketten. Noch während Caspar, durch ein paar rasche Worte des Herrn von Tucher über die Person des illustern Mannes belehrt, auf den Grafen zuging, erhob sich dieser und sagte mit überraschender Erregung und sichtlich tiefberührt: »Caspar! Also endlich! Gesegnete Stunde!« Dann streckte er die Arme nach ihm aus, und wie zu einem Tor, das ihm nach sehnsuchtsvollem Harren aufgetan worden, begab sich Caspar in diese geöffneten Arme, ein heller, scharfer, kühler Strahl der Freude durchfuhr ihn von oben bis unten, und er vermochte weder zu sprechen noch sich zu regen.
    Das war er, der aus weiter Ferne kam. Von ihm der Ring, von ihm die Botschaft. Schon oben, als er die Kalesche vor dem Haus stillhalten gehört, war eine Erstarrung von Caspars Gliedern gefallen, und als der Diener ihn rief, war es, als ob ein Morgenschein das Haus durchglühe. Als er die Schwelle des Zimmers erreicht hatte, sah Caspar nur ihn, den Fremden, Fremdvertrauten, und wie wenn ihm bisher die Hälfte seines Herzens gefehlt hätte, fühlte er sich auf einmal ganz geworden, rund und neu: mit gebadetem Auge sah er sich selbst, zweckvoll erschaffen. Mild an ihre Glocke schlug die Uhr und das Licht des Nachmittags war wie Honig und süß zu schmecken.
    Auf den Lord übte die wunderbare Ergriffenheit Caspars anscheinend große Wirkung. Für die Dauer mehrerer Sekunden war sein Gesicht heftig bewegt und die Augen trübten sich wie in peinvollem Erstaunen. Er war ohne Zweifel verwirrt, die allzeit dienstbare Phrase versagte sich ihm, und bei der ersten zärtlichen Anrede klang die sonst seidenweiche Stimme rauh. Mit der Hand streichelte er Caspars Haare, preßte die Wange des Jünglings gegen seinen Busen, und ein verlorener Blick traf den stumm abseits stehenden Herrn von Tucher, der mit Verwunderung die ungewöhnliche Szene beobachtete. Stanhope bat ihn dann, weil das Verhüllte des Vorgangs zu irgendeiner Klärung drängte, ob er Caspar für einige Stunden mit sich nehmen dürfe, ein Ansuchen, dem Herr von Tucher nicht widerstehen konnte.
    Bald darauf saß Caspar an der Seite des Lords im Wagen; der Polizist mußte natürlich mit und saß hintenauf. Während das Gefährt zum Tor hinaus gegen die Maxfeldgärten rollte, entspann sich langsam ein Gespräch.
    Caspar klagte, zum erstenmal durfte er klagen. Doch war er schon versöhnt mit dem Augenblick, wo geschehenes Unrecht als solches erkannt und verstanden wurde. Die Welt schien schlecht bis auf diesen Tag, jetzt tat sich ihr Himmel auf und es zeigte sich ein waltender Arm.
    Doch nicht so sehr um das Nahgeschehene handelte sich’s: hier war einer, der
wissen
mußte! Caspar fragte. Kühn und leidenschaftlich fragte er: wer bin ich? wer war ich? was soll ich? wo ist mein Vater? wo meine Mutter? Und die Antwort des Grafen? Verlegenheit.Eine Umarmung. »Geduld, Caspar; bis morgen nur Geduld: das läßt sich nicht in einem Atemzug abtun, allzuviel ist zu sagen. Erzähl mir lieber: wie hast du gelebt? Erzähl von deinen Träumen. Man sagt mir, du habest wunderbare Träume. Erzähl!«
    Caspar ließ nicht lange bitten. Die wesensvollen Gebilde machten den Lauscher stutzig, er umschloß Caspar fester und verbarg so sein Gesicht vor ihm; bei der geschilderten Erscheinung der Mutter fuhr er wie vor Schreck zusammen, und abermals suchte er abzulenken, wollte Einzelheiten über das Leben Caspars im Daumerschen, im Beholdschen Hause wissen; der Gegenstand war gefahrlos. Stanhope fand sich ergötzt durch Caspars ursprüngliche und bezeichnende Ausdrucksweise, die komische Anwendung von Sprichwörtern und Nürnberger Redensarten. Auf dem Rückweg fragte er, wo Caspar den Ring habe, den er ihm geschickt. »Hab’ mich nicht getraut, ihn an den Finger zu tun,« antwortete Caspar.
    »Warum denn nicht?«
    »Weiß nicht warum.«
    »War er dir nicht schön genug?«
    »O nein; umgekehrt wird ein Schuh draus. Viel zu schön war er mir. Hab’ immer Herzklopfen gehabt, wenn ich ihn angesehen.«
    »Aber jetzt wirst du ihn tragen?«
    »Ja, jetzt will ich ihn tragen. Jetzt weiß ich, er gehört wirklich mir.«
    Der Wagen hielt vor dem Tor, Stanhope nahm zärtlichen

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