Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Abschied von Caspar und bestellte ihn für den nächsten Vormittag in den Gasthof. »Auf Wiedersehen, Liebling!« rief er ihm noch zu.
Caspar stand beklommen. Jetzt kroch die Zeit wieder träge. Jeder Schritt ins Haus war ein schmerzliches Sichentfernen aus dem Kreis des herrlichen Mannes; was jetzt die Hand, der Blick berührte, war alt, war tot.
Schon um zehn Uhr morgens war er im »Wilden Mann«. Der Unterrichtsstunde war er einfach entlaufen; hätte ihn jemand abzuhalten versucht, er wäre an einem Strick vom Fenster heruntergeklettert.
Der Lord kam ihm in der oberen Halle entgegen, küßte ihn vor vielen Zuschauern auf die Stirn und führte ihn ins Empfangszimmer, wo auf einem Tischlein Geschenke für Caspar lagen: eine goldene Uhr, goldene Hemdknöpfe, silberne Schuhschnallen und feine weiße Wäsche. Caspar traute seinen Augen nicht, der Überschwang des Dankes versperrte ihm die Kehle, er wußte nichts andres, als immer nur die freigebige Hand des Spenders in der seinen festzuhalten.
Der Lord nahm den stillen Ansturm mit gerührtem Schweigen auf. Aber nachdem sie ein paarmal Arm in Arm durch die Mitte des Raumes gewandelt waren und Caspar noch immer mit sichtbarer Anstrengung nach Zeichen seiner Erkenntlichkeit rang, ermahnte ihn Stanhope sanft, er möge doch jeden Dank unterlassen. »Diese Dinge sind ja nur geringfügige Merkmale meiner Liebe zu dir,« sagte er; »das Wirkliche, das Große, was ich für dich tun will, bleibt der Zukunft vorbehalten. Inzwischen bleibe du so, wie du bist, mein Caspar, denn so bist du mir eben recht; nicht geräuschvoll in Worten, aber zuverlässig in deinem Herzen. Zuverlässig und treu sollst du mir bleiben, ein Sohn, ein Kamerad, ein Freund.«
Caspar seufzte. Das war zu viel des Glücks. Nie hätte er geglaubt, daß ein Menschenmund so sprechen könne. Zur Beteuerung war er ohnmächtig, nur sein Auge gab Kunde in einem schwärmerischen Blick.
Stanhope öffnete eine Tür und geleitete den Jüngling zu einer kleinen Frühstückstafel, die im Nebenzimmer bloß für sie beide gedeckt war. Sie nahmen Platz, der Lord füllte Wein in die Gläser und lächelte sonderbar, als Caspar erklärte, er trinke niemals Wein. »Wie wird es dann werden, Caspar, wenn wir zusammen in die Länder des Südens reisen? Auf allen Hügeln glüht dort der Wein und die Luft ist voll davon. Was schaust du mich so an? Glaubst du mir nicht?«
»Wirklich? Werden wir wirklich zusammen reisen?« fragte Caspar jubelnd.
»Gewiß werden wir das. Denkst du denn, daß ich mich von dir trennen will? Oder denkst du, daß ich dich in dieser Stadt lasse, wo dir so viel Übles widerfahren ist?«
»Also fort? Wirklich fort? Fort in die weite Ferne!« rief Caspar, preßte wie außer sich beide Hände vor den Mund und zog in freudigem Krampf die Schultern bis an die Ohren. »Was wird aber Herr von Tucher dazu sagen? Und der Herr Bürgermeister? Und der Herr Präsident?« fügte er hinzu, vor lauter Hast plappernd, während sich in seinem Gesicht die ganze Betrübnis malte, die er bei der Vorstellung empfand, jene Männer könnten die Pläne des Grafen mißbilligen oder zunichte machen.
»Sie werden es geschehen lassen, sie werden keine Gewalt mehr über dich haben, dein Weg führt dich über sie empor,« antwortete Stanhopeernst und sah Caspar zugleich mit einem scharfen, ja durchbohrenden Blick an.
Caspar erbleichte, von einem grenzenlosen Gefühl überwältigt. Während in seiner Brust Wunsch und Zweifel, dunkel umschlungen, alle Kräfte der Seele an sich zogen, erhob sich vor seinem Geiste leuchtender als je das Bild der Frau aus dem Traumschloß. Mit einer ergreifenden Gebärde des Flehens wandte er sich zu Stanhope und fragte: »Herr Graf, werden Sie mich zu meiner Mutter bringen?«
Stanhope legte Messer und Gabel beiseite und stützte den Kopf in die Hand. »Hier liegen furchtbare Geheimnisse, Caspar,« flüsterte er dumpf. »Ich werde reden und ich muß reden, aber du mußt schweigen, keinem andern Menschen darfst du vertrauen als mir. Deine Hand, Caspar, dein Gelöbnis! Herzensmensch! Unglücklich-Glücklicher, ja, ich will dich zu deiner Mutter bringen, die Vorsehung hat mich erwählt, dir zu helfen!«
Caspar sank hin, die Beine trugen ihn nicht mehr, sein Kopf fiel auf die Knie des Grafen. Die Luftadern pochten um ihn, ein Schluchzen löste die ungeheure Spannung seiner Brust. »Wie soll ich denn zu dir reden?« fragte er mit der Kühnheit eines Trunkenen, denn die Formeln, in denen man sonst zu
Weitere Kostenlose Bücher