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Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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vergessen lässt, was hinter uns geschieht.
    Dann plötzlich erschauert das Tier unter unseren Füßen. Eine gewaltige Explosion. Eli und ich stürzen los, nur noch getrieben von reinem Überlebensinstinkt. Ein einziger Gedanke beherrscht mich:
Weg hier!

    Ich habe das schon einmal getan, vor vielen Jahren. Mein Vater hat einmal zu mir gesagt: »Wenn irgendetwas passiert, renn zu den Canyons«, und ich habe auf ihn gehört. Wie immer wollte ich überleben.
    Die Funktionäre schnitten mir mit einem Flugschiff den Weg ab und landeten direkt vor mir. Die Strecke, für die ich Stunden gebraucht hatte, legten sie im Nu zurück. Sie stießen mich zu Boden. Ich wehrte mich, schürfte mir das Gesicht an einem Stein auf. Doch ich klammerte mich an das Eine, das ich aus dem Dorf mitgebracht hatte – den Malpinsel meiner Mutter.
    Im Flugschiff traf ich die einzige andere Überlebende – ein Mädchen aus meinem Dorf. Als wir wieder in der Luft waren, hielten uns die Funktionäre die roten Tabletten hin. Ich hatte die Gerüchte über sie gehört und dachte, ich müsse sterben. Deswegen presste ich die Lippen fest aufeinander und weigerte mich, sie zu schlucken.
    »Komm schon«, sagte eine Funktionärin mitfühlend, öffnete mir mit den Fingern den Mund und schob eine grüne Tablette hinein. Die künstliche Ruhe überkam mich, und ich konnte mich nicht wehren, als sie mir auch die rote in den Mund steckte. Aber meine Hände behielten ihren eigenen Willen und umklammerten den Pinsel meiner Mutter so fest, dass er zerbrach.
    Ich starb nicht. Man führte uns hinter einen Vorhang im Flugschiff und wusch uns Hände, Gesicht und Haare. Die Funktionäre gingen sanft mit uns um, während in unseren Köpfen das Vergessen einsetzte. Sie gaben uns frische Kleidung und erzählten uns eine neue Geschichte, die den Platz der verlorenen Erinnerungen einnehmen sollte.
    »Es tut uns leid«, sagten sie und setzten mitleidige Mienen auf. »Der Feind hat die Felder angegriffen, auf denen viele Bewohner eures Dorfes arbeiteten. Insgesamt sind nicht viele Opfer zu beklagen, aber eure Eltern wurden getötet.«
    Ich dachte:
Warum macht ihr uns das weis? Glaubt ihr wirklich, wir hätten alles schon vergessen? Die Opferzahl war nicht niedrig. Fast alle sind ums Leben gekommen. Und sie waren nicht auf den Feldern. Ich habe alles mit angesehen.
    Das Mädchen weinte, nickte und glaubte alles, obwohl sie hätte wissen müssen, dass man sie belog. Und ich erkannte, dass Vergessen genau das war, was von mir erwartet wurde.
    Also gab ich vor, mich an nichts mehr zu erinnern. Ich nickte wie das weinende Mädchen und versuchte, genau die gleiche ausdruckslose Miene aufzusetzen wie sie.
    Doch ich weinte nicht. Denn ich wusste, wenn ich einmal anfinge, würde ich nicht mehr aufhören. Und damit würde ich verraten, was ich tatsächlich gesehen hatte.
    Sie nahmen mir den zerbrochenen Pinsel weg und fragten mich, wo ich ihn herhatte.
    Für einen Moment geriet ich in Panik. Ich wusste es nicht mehr. Wirkte die rote Tablette? Doch dann fiel es mir wieder ein. Ich hatte den Pinsel, weil er meiner Mutter gehörte. Ich fand ihn im Dorf, als ich nach den Angriffen vom Plateau zurückkehrte.
    Ich sah sie an und sagte: »Ich weiß es nicht. Ich habe ihn gefunden.«

    Wir nähern uns den Canyons. »Welche Schlucht ist es?«, ruft Vick mir zu. Aus der Nähe sieht man, was von weitem nicht erkennbar ist – der tiefe Einschnitt im Berg ist zerklüftet. Jede Felsspalte führt in ein anderes Tal, wir haben die Qual der Wahl.
    Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Ich bin noch nie hier gewesen, habe nur meinen Vater darüber reden hören, muss aber schnell eine Entscheidung treffen. In diesem Augenblick bin ich der Anführer. »Diese«, entscheide ich und zeige auf die nächstgelegene Felsspalte. Die, neben der ein Steinhaufen liegt. Mein Instinkt sagt mir, dass dies der richtige Weg ist.
    Hier erhellen keine Lichtkegel von Taschenlampen die Dunkelheit. Das Mondlicht muss reichen. Wir brauchen beide Hände, um in das Innere der Erde vorzudringen. Ich reiße mir die dünne Haut meines Armes an einem Stein auf und verhake mich ständig an Pflanzenranken, die sich überall anklammern wie blinde Passagiere.
    Hinter uns höre ich eine laute Explosion. Sie klingt anders als das Feuer des Feindes und ertönt nicht weit weg im Dorf, sondern dicht hinter uns auf der Ebene.
    »Was war das?«, fragt Eli.
    »Lauf!«, brüllen Vick und ich gleichzeitig und klettern schneller voran,

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