Cassia & Ky – Die Flucht
hat sie ein sechsmonatiges Rotationsprogramm ins Leben gerufen. Sobald Ihre Zeit dort zu Ende ist, kehren Sie als Bürgerinnen zurück.«
Das ist doch alles gelogen
, denke ich,
das glaubst du doch selbst nicht
.
»Und jetzt«, fährt der Funktionär fort und deutet auf die beiden Wächter, die das Flugschiff begleiten, »werden wir Sie hinter diesen Vorhang führen, Sie durchsuchen und Ihnen ihre Standardkleidung aushändigen. Einschließlich der Mäntel.«
Sie werden uns durchsuchen. Jetzt.
Ich bin nicht die Erste, die aufgerufen wird. Fieberhaft suche ich nach einem Platz, an dem ich die Tabletten verstecken kann, finde aber keinen. Die Innenausstattung des Schiffes ist glatt und eben, ohne Ecken und Winkel. Sogar unsere Sitze sind hart und glatt, die Sicherheitsgurte einfach und eng. Ich kann die Tabletten nirgendwo verbergen.
»Willst du etwas verstecken?«, flüstert Indie mir zu.
»Ja«, antworte ich. Warum sollte ich lügen?
»Ich auch«, wispert sie. »Ich nehme deins, du nimmst meins, wenn ich dran bin.«
Ich öffne meinen Beutel und ziehe vorsichtig das Päckchen Tabletten heraus. Ehe ich mich versehe, hat Indie – blitzschnell, trotz der Handschellen – danach gegriffen. Was wird sie als Nächstes tun? Was hat sie zu verbergen, und wie will sie es mit ihren gefesselten Händen aus der Tasche ziehen?
Ich habe keine Zeit, sie zu beobachten. »Die Nächste!«, ruft die Wächterin mit den braunen Haaren und zeigt auf mich.
Dreh dich nicht zu Indie um!
, ermahne ich mich.
Lass dir nichts anmerken!
Hinter dem Vorhang muss ich mich bis auf die Unterwäsche ausziehen, und die Wächterin durchsucht die Taschen meiner alten braunen Zivilkleidung. Sie reicht mir einen neuen Anzug – in Schwarz.
»Sehen wir uns mal den Beutel an«, sagt sie dann und nimmt ihn mir ab. Sie blättert die Nachrichten durch, und ich muss mich beherrschen, um nicht zusammenzuzucken, als eine der älteren von Bram auseinanderfällt.
Sie reicht mir den Beutel zurück: »Sie können sich anziehen.«
In dem Moment, als ich den letzten Hemdknopf schließe, ruft die Wächterin dem Funktionär zu: »Sie hat nichts!« Der Funktionär nickt.
Zurück an meinem Platz neben Indie, schlüpfe ich in die Ärmel meines brandneuen Mantels und flüstere, fast ohne die Lippen zu bewegen: »Ich bin so weit.«
»Ist schon in deiner Manteltasche«, antwortet Indie.
Am liebsten hätte ich sie gefragt, wie sie das so schnell fertiggebracht hat, aber ich habe Angst, dass man mich hört. Mir schwindelt fast vor Erleichterung, dass wir das geschafft haben. Dass Indie das geschafft hat.
Als die Wächterin ein paar Augenblicke später auf Indie deutet, steht sie auf, geht mit gesenktem Kopf und gehorsam vor sich ausgestreckten, gefesselten Händen zur Abtrennung. Ich finde, dass Indie wirklich überzeugend die Gebrochene spielt.
Auf der anderen Seite des Flugschiffs fängt das Mädchen, das nach mir durchsucht wurde, an zu weinen. Hat man bei ihr etwas gefunden? Geht es ihr so, wie es mir ergangen wäre, wäre Indie nicht gewesen?
»Ja, weine nur«, sagt ein anderes Mädchen dumpf. »Man bringt uns in die Äußeren Provinzen.«
»Lass sie in Ruhe«, entgegnet ein anderes Mädchen barsch. Die Wächterin bemerkt die Weinende und bringt ihr eine grüne Tablette.
Indie sagt nichts, als sie von ihrer Durchsuchung zurückkehrt. Sie blickt mich nicht einmal an. Ich spüre das Gewicht der Tabletten in meiner Manteltasche. Ich wünschte, ich könnte nachsehen und mich vergewissern, dass sie alle da sind, die blauen von Xander und meine eigenen, die ich dazwischen gesteckt habe. Doch ich tue es nicht. Ich vertraue Indie, und sie vertraut mir. Das Gewicht des Päckchens scheint unverändert zu sein, ich spüre nichts Schwereres. Was immer sie verstecken wollte, es muss klein und leicht sein.
Ich frage mich, was es ist. Vielleicht erzählt sie es mir später.
An Ausrüstung gibt man uns nur das Allernötigste mit auf den Weg: Essensrationen für zwei Tage, eine Garnitur Wechselkleidung, eine Feldflasche, einen Rucksack, in dem wir das Ganze verstauen können. Keine Messer, nichts Scharfes. Weder Gewehre noch andere Waffen. Eine Taschenlampe, aber so leicht und in ihrer Form so abgerundet, dass sie zum Kämpfen kaum zu gebrauchen ist.
Unsere Mäntel sind leicht, aber warm, aus einem besonderen Material, wie ich spüre, und ich frage mich, wieso man Rohstoffe an Menschen verschwendet, die hier herausgeschickt werden. Die Mäntel sind das
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