Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
Vom Netzwerk:
Indie zu dem Jungen. »Lass mich vorangehen.«
    »Ich kann das übernehmen«, biete ich an.
    »Nein, noch nicht«, erwidert Indie mit angespannter, müder Stimme. »Ich glaube, du bist die Einzige, die am Ende noch genügend Kraft hat, um uns reinzubringen.«
    Unsere Kleidung bleibt im dornigen Gestrüpp hängen, das einen scharfen, intensiven trockenen Geruch verbreitet. Könnte es Salbei sein? Kys Lieblingsgeruch aus seiner Heimat?

    Kilometer später geben wir auf, in einer Reihe hintereinander zu laufen und rennen stattdessen nebeneinanderher. Das ist zwar ineffizient, aber wir brauchen einander zu sehr.
    Wir sind alle drei schon hingefallen. Wir bluten. Der Junge hat sich an der Schulter verletzt, Indies Beine sind aufgeschürft, ich bin in eine kleine Felsspalte gefallen und fühle mich am ganzen Körper wie zerschlagen. Wir laufen so langsam, dass wir fast gehen.
    »Ein Marathon«, schnauft Indie. »So nennt man einen Lauf wie diesen. Ich habe mal eine Geschichte darüber gehört.«
    »Kannst du sie mir erzählen?«, frage ich Indie.
    »Die willst du nicht hören.«
    »Doch.« Ich brauche irgendetwas, um zu vergessen, wie schwer es ist, wie weit wir noch laufen müssen. Obwohl wir uns der Klamm allmählich nähern, fühlt sich jeder Schritt wie der letzte an. Ich kann kaum glauben, dass Indie noch sprechen kann. Der Junge und ich haben schon vor Kilometern aufgegeben.
    »Es war am Ende der Welt. Eine Nachricht musste überbracht werden.« Sie atmet schwer, und die Worte kommen abgehackt heraus. »Einer rannte los, um sie zu überbringen. Etwas über 42  Kilometer, fast wie wir. Er hat es geschafft. Hat die Nachricht überbracht.«
    »Und dafür wurde er belohnt?«, frage ich keuchend. »Ist ein Flugschiff gekommen und hat ihn gerettet?«
    »Nein«, erwidert Indie. »Er hat seine Botschaft übermittelt. Dann ist er gestorben.«
    Ich muss lachen, was mich unnötig viel Atem kostet, und Indie fällt in mein Lachen ein. »Ich hab dir doch gesagt, du willst es nicht wissen.«
    »Wenigstens ist die Botschaft angekommen«, keuche ich.
    »Das bleibt zu hoffen«, antwortet Indie, und als sie mich anblickt, immer noch mit einem Lächeln im Gesicht, erkenne ich, dass sie gar nicht so kalt und distanziert ist, wie ich bisher angenommen habe, sondern warmherzig. In Indie lodert ein Feuer, das sie sogar an einem Ort wie diesem lebendig und stark macht.
    Der Junge hustet und spuckt. Er ist schon länger als wir hier draußen. Er klingt schwach.
    Wir hören auf zu reden.
    Ein paar Kilometer bevor wir die Klamm erreichen, nehmen wir plötzlich einen seltsamen Gestank wahr. Während die Luft bisher vom reinen Duft der Pflanzen erfüllt war, dominiert nun der Gestank von Ruß und Rauch und von etwas Verbranntem. Als ich mich umblicke, meine ich, hier und da Aschereste glimmen zu sehen, ein schwaches Flackern, vereinzeltes, orangefarbenes Leuchten unter dem Mond.
    Und noch ein anderer Geruch erfüllt die Nacht, einer, der mir nicht vertraut ist – der Gestank des Todes.
    Keiner von uns spricht ein Wort, aber der Geruch treibt uns voran, wie es kaum etwas anderes vermöchte, und eine Weile lang atmen wir so flach wie möglich.
     
    Wir rennen eine Ewigkeit. Im Rhythmus meiner Schritte wiederhole ich wieder und wieder das Gedicht. Fast klingt es, als höre ich die Stimme einer Fremden. Ich weiß nicht, woher ich den Atem nehme, und verhaspele mich häufig: Hinaus aus unserem Quell von Zeit und Ort, mag Flut mich weit hinweg geleiten.
    Aber es spielt keine Rolle. Ich wusste bisher nicht, dass Worte manchmal keine Rolle spielen.
    »Sagst du das für uns?«, keucht der Junge, der seit Stunden zum ersten Mal wieder spricht.
    »Nein, wir sind nicht tot«, erwidere ich. Kein Toter kann sich derart müde fühlen.
     
    »Wir sind da«, sagt der Junge und bleibt stehen. Ich folge seinem Blick und sehe eine Ansammlung von Felsbrocken, die schwierig, aber nicht unmöglich zu überwinden sein werden.
    Wir haben es geschafft.
    Der Junge klappt vor Erschöpfung zusammen. Indie und ich schauen uns an, und ich strecke die Hand aus, um seine Schulter zu berühren. Wir glauben, ihm ist schlecht, aber dann richtet er sich auf.
    »Gehen wir«, sage ich. Warum bleibt er hier stehen?
    »Ich komme nicht mit euch«, erwidert er. »Ich gehe in eine andere Schlucht.« Er zeigt an der Felswand entlang.
    »Warum?«, frage ich, und Indie wendet ein: »Woher sollen wir wissen, dass wir dir vertrauen können? Woher wissen wir, dass das die richtige Schlucht

Weitere Kostenlose Bücher