Cassia & Ky – Die Flucht
ein Warnlicht aufleuchtet, das einen Funktionär über den Einbruch informiert?
Hunter hält das Röhrchen hoch und richtet das Licht einer Taschenlampe darauf. Die Gewebeproben sind so winzig, dass man sie in der Nährlösung, in der sie herumschwappen, nicht erkennen kann.
Knack!
Das Röhrchen zerbricht, und Blut läuft Hunters Hand hinunter. Er sagt: »Sie haben uns getötet, um sich zu bewahren.«
Alle sehen Hunter an. Für einen wilden, impulsiven Moment bin ich versucht, Hunters Beispiel zu folgen – ich stelle mir vor, alle Behälter zu öffnen und ein Werkzeug zu benutzen, einen Stock zum Beispiel. Ich würde an den Reihen der blausilbrig schimmernden Röhren entlanglaufen und den Stock über sie hinweggleiten lassen, um auszuprobieren, ob sie wie Glocken klingen. Ich frage mich, ob der Klang der fremden Leben schrill und misstönend oder stark, klar, weich und wahrhaft musikalisch wäre. Doch ich zerbreche nichts. Stattdessen tue ich etwas anderes, ganz rasch, während alle Blicke auf Hunter gerichtet sind.
Er öffnet die Hand und starrt das Blut und die Flüssigkeit auf seiner Handfläche an. Unwillkürlich lese ich den Namen auf dem Etikett: THURSTON , MORGAN . KA . Dann blicke ich wieder Hunter an. Ein solches Röhrchen zu zerbrechen muss sehr viel Kraft erfordern, aber er scheint die Anstrengung gar nicht zu merken. »Warum?«, fragt er. »Wie geht das? Haben sie wirklich eine Methode entwickelt, Menschen wieder zum Leben zu erwecken?«
Alle sehen mich an und warten auf eine Erklärung. Zorn und Scham steigen in mir auf. Warum glauben sie, dass ich die Antworten auf diese Fragen kenne? Weil ich am meisten von der Gesellschaft geprägt bin?
Dabei gibt es vieles, was ich nicht verstehe, in Bezug auf die Gesellschaft, in Bezug auf mich.
Ky legt mir die Hand auf den Arm und sagt leise: »Cassia.«
»Ich bin nicht Xander!«, sage ich, zu laut in der hallenden Höhle. Ky blinzelt, als das Echo meiner Stimme ringsum zurückgeworfen wird. »Ich verstehe nichts von Medizin, von Tabletten oder Gewebeproben. Oder von den medizinischen Möglichkeiten der Gesellschaft. Ich weiß es nicht!«
Für einen Moment schweigen alle. Dann sagt Indie, an Ky gewandt: »Xanders Geheimnis. Hat es irgendetwas hiermit zu tun?«
Ky öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, doch bevor er dazu kommt, bemerken wir es alle gleichzeitig: Eine kleine rote Lampe pulsiert jetzt auf dem Behälter, den Hunter geöffnet hat.
Wieder durchfährt mich die Angst, und ich weiß nicht, was mich mehr erschreckt – die Gesellschaft oder die Kaverne, in der wir gefangen sind.
Kapitel 33 KY
Hunter greift nach dem nächsten Röhrchen und zerbricht auch dieses mit der bloßen Hand.
»Nichts wie raus hier!«, sage ich zu Cassia und den anderen. »Los!«
Indie zögert keine Sekunde, dreht sich um, rennt zum Höhleneingang und schlüpft in die Felsspalte.
»Wir können ihn nicht hier zurücklassen«, wendet Cassia mit einem Blick auf Hunter ein, der nichts sieht und nichts hört außer den Röhrchen, die er mit den Händen zerbricht.
»Ich versuche, ihn dazu zu bewegen, mit uns zu kommen«, verspreche ich. »Aber du musst gehen. Sofort.«
»Wir brauchen ihn für den Rückweg über den Berg!«, entgegnet sie.
»Indie kann dir helfen. Geh! Ich komme gleich nach.«
»Wir warten am Aufstieg«, verspricht Cassia. »Die Gesellschaft braucht bestimmt lange, bis sie hier ist.«
Wenn sie nicht schon in der Nähe ist
, denke ich.
Dann könnte es nur eine Frage von Minuten sein.
Als die anderen weg sind, kümmere ich mich um Hunter. »Hör auf damit!«, dränge ich. »Komm mit uns!«
Er schüttelt den Kopf, zerbricht ein weiteres Röhrchen.
»Wir könnten versuchen, deine Leute einzuholen, die, die über die Ebene gegangen sind«, schlage ich vor.
»Wenn die nicht schon alle tot sind«, erwidert er.
»Sind sie fortgegangen, um sich der Erhebung anzuschließen?«, frage ich.
Er antwortet nicht.
Ich versuche nicht, ihn an seinem Tun zu hindern. Ein Röhrchen, eintausend – was macht das schon aus? Die Gesellschaft wird so oder so davon erfahren. Und ein Teil von mir möchte es Hunter gleichtun. Wenn man alles verloren hat, warum soll man nicht zerstören, was man kann, bevor sie einen überwältigen? Ich erinnere mich an dieses Gefühl. In einem finsteren Winkel meines Kopfes denke ich:
Wenn er nicht mit uns kommt, kann er Cassia auch nicht von der Erhebung erzählen und wo man sie findet. Ich bin mir sicher, dass er es weiß.
Ich kehre
Weitere Kostenlose Bücher