Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
andere – Vergnügen zu verderben.
»Gib sie her«, quäkte sie, rannte über den Hof direkt auf mich zu und trat mir mit ihren langen dünnen Beinen gegen das Schienbein. Dann brachte sie sich schnell in Sicherheit und schrie mir aus sicherer Entfernung zu: »Sie ist unsere Jane! Nicht Toms! Unsere! Alles hier gehört uns, nicht dir allein, Heaven Leigh Casteel!«
Von da an hieß Jane »Unsere-Jane«. Sie wurde so lange bei diesem Namen gerufen, bis schließlich alle vergessen hatten, daß unser Jüngstes und Liebstes früher nur einen Namen besessen hatte.
Und dann war da noch Vater.
Manchmal gab es Zeiten, da mir nichts lieber auf der Welt gewesen wäre, als meinen einsamen Vater zu lieben, der oft dumpf und vom Leben enttäuscht auf einem Stuhl hockte und Löcher in die Luft starrte. Seine Haare waren ebenholzfarben – das Erbe eines indianischen Vorfahren, der einst ein weißes Mädchen geraubt und es zu seiner Frau gemacht hatte. Seine Augen waren ebenso schwarz wie sein Haar, und seine Haut war im Sommer wie im Winter von einer tiefen Bronzefarbe. Seine glattrasierten Wangen bekamen keine dunklen Schatten, wie das bei schwarzhaarigen Männern oft der Fall ist. Er hatte schöne breite Schultern. Man konnte ihn manchmal im Hof beobachten, wie er Holz hackte, und während er die Axt schwang, das komplizierte Muskelspiel seiner starken Brust und seiner Arme sehen; Sarah, die gerade über einen Waschtrog gebeugt stand, richtete sich einmal auf und sah ihn mit so großer Liebe und so großem Verlangen an, daß es mir fast das Herz zerriß bei dem Gedanken, wie gleichgültig es ihm war, ob sie ihn liebte und bewunderte oder sich jedesmal die Augen ausweinte, wenn er erst frühmorgens nach Hause kam.
Seine düsteren, melancholischen Stimmungen brachten mich manchmal fast dazu, meine gemeinen Gedanken gegen ihn zu vergessen. In dem Frühling, als ich dreizehn Jahre alt war und schon über meine wirkliche Mutter Bescheid wußte, beobachtete ich ihn, wie er zusammengekauert im Sessel saß und in die Luft starrte, als träumte er von etwas; ich stand abseits und sehnte mich danach, die Arme nach ihm auszustrecken und seine Wangen zu berühren – ich hatte noch niemals sein Gesicht angefaßt. Was würde er tun, wenn ich es wagte? Würde er mir ins Gesicht schlagen? Mit Sicherheit würde er brüllen und schreien. Trotzdem hatte ich das große Bedürfnis, ihn zu lieben und von ihm geliebt zu werden, und die ganze Zeit über brannte das quälende Verlangen in mir, meine Liebe und Zuneigung für ihn wie ein Feuer entzünden zu dürfen.
Wenn er mich wenigstens angesehen oder etwas gesagt hätte, um mir zu zeigen, daß er mich ein klein wenig mochte.
Aber er schaute mich nicht einmal an. Er sprach kein Wort mit mir. Ich war Luft für ihn.
Aber wenn Fanny die wackligen Stufen unserer Veranda hochstürmte und sich auf seinen Schoß setzte und dabei lauthals verkündete, wie sehr sie sich darüber freue, daß er wieder da sei, dann küßte er sie. Es gab mir einen Stich, zu sehen, wie er sie in die Arme nahm und über ihre langen, glänzend-schwarzen Haare strich. »Wie geht’s, Fanny, mein Mädchen?«
»Hast mir gefehlt, Vater! Mag nicht, wenn du weg bist. Ist nicht schön ohne dich! Bitte, Vater, bleib diesmal!«
»Liebes«, murmelte er, »schön, daß einen jemand vermißt – vielleicht geh’ ich nur darum immer wieder fort!«
Es tat weh, zu sehen, wie Vater Fannys Haare streichelte und mich überhaupt nicht beachtete – mehr noch als seine Ohrfeigen und bösen Worte, die ich bekam, wenn ich ihn hin und wieder zwang, mich zu bemerken. Ich lenkte seine Aufmerksamkeit absichtlich auf mich; mit einem riesigen Wäschekorb, in den ich gerade die Wäsche von der Wäscheleine zusammengefaltet hineingelegt hatte, stolzierte ich an ihm vorbei. Fanny grinste mich frech an. Vater würdigte mich keines Blicks und ließ sich nicht anmerken, daß er wußte, wie schwer ich schuftete – obwohl es um seine Mundwinkel zuckte. Wortlos schritt ich an ihm vorbei, als ob ich ihn zuletzt vor zwei Minuten gesehen hätte und er nicht zwei Wochen fortgewesen wäre. Es wurmte mich, daß er mich überging – obgleich ich ihn auch nicht beachtete.
Fanny rührte keine Arbeit an – die erledigten Sarah und ich. Großmutter erzählte Geschichten, und Großvater schnitzte. Vater kam und ging, ganz wie es ihm beliebte; er verkaufte Schnaps für Schwarzbrenner und manchmal brannte er seinen eigenen, was ihm, laut Sarah, das meiste Geld
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