Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
anderen Ende des Zimmers aus beobachtete. Dieser vertraute Blick ließ mir warm ums Herz werden.
»Ich benehme mich schlecht, ich weiß. Alle versuchen mir zu helfen, und ich führe mich auf wie ein verwöhnter Fratz.«
»Aber wie ein hübscher verwöhnter Fratz«, lächelte Tony. »Deshalb sei dir verziehen.«
»Siehst du, Annie, wie charmant er ist«, meinte Drake.
»Du hast recht. Oh, Tony, hat Luke schon angerufen? Drake hat mir erzählt, daß er seit gestern in Harvard ist.«
»Nein, er hat sich noch nicht gemeldet. Aber wenn er von sich hören läßt, werde ich es dich sofort wissen lassen.«
»Sag ihm einfach, er soll kommen, sobald er kann.«
»In Ordnung.« Tony klatschte in die Hände, um das Thema abzuschließen. »Nun sollten wir aber Mrs. Broadfield die Möglichkeit geben, mit der Behandlung zu beginnen. Wir wollen ja deiner Genesung in keiner Weise im Wege stehen.«
»Ich bitte um Verzeihung, Sir«, sagte Millie Thomas zaghaft. Sie stand völlig verschüchtert in der Tür. »Aber ich bin gekommen, um nachzusehen, ob Miss Annie fertig ist mit dem Essen.«
»Ja, ich bin fertig.« Millie eilte herbei, um das Tablett wegzunehmen. »Dankeschön Millie.« Sie lächelte. »Wenn Sie mal Zeit haben, kommen Sie doch herauf und besuchen Sie mich.«
»Oh.« Ein Staunen huschte über ihr Gesicht, als ob meine Freundlichkeit sie ganz durcheinanderbringen würde; aber wir waren daheim in Hasbrouck House mit unseren Angestellten immer so umgegangen, als gehörten sie zur Familie. Dann warf sie Tony einen kurzen Blick zu. »Ja, Miß Annie.«
»Und noch eines, Millie – nennen Sie mich bitte einfach Annie.«
Sie trippelte mit kleinen Schritten aus dem Zimmer, wie ein Mäuschen.
»Ich hoffe, sie bewährt sich«, murmelte Tony hinter ihr her. »Ich habe sie über eine neue Vermittlungsagentur engagiert, ohne viel von ihr zu wissen.«
»Sie scheint sehr nett zu sein, Tony.«
»Wir werden sehen.«
»Ich sollte mich jetzt wirklich auf den Weg machen«, verkündete Drake. »Ich komme bald wieder vorbei, Annie, vielleicht schon morgen. Soll ich dir irgend etwas mitbringen?«
»Ich hätte gerne ein paar Sachen aus Winnerrow, Drake. Wann fährst du das nächste Mal dorthin?«
»Noch nicht so bald, Annie, aber ich nehme an, wir könnten dir die Sachen kommen lassen.« Er sah Tony fragend an.
»Selbstverständlich.«
»Ich kann auch einfach Tante Fanny anrufen. Ich bin sicher, sie würde mich gerne besuchen kommen.«
»Ich glaube, Drake könnte durchaus einen Tag freinehmen«, beschloß Tony. »Der Grund ist wichtig genug.«
»Mach eine Liste, Annie, und gib sie mir, wenn ich dich das nächste Mal besuche.«
»Danke, Drake.«
»Bis bald.« Er gab mir einen flüchtigen Kuß auf die Wange und eilte aus dem Zimmer.
Tony stand da und blickte auf mich herunter. Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Seine blauen Augen begannen zu strahlen, und sein Gesicht straffte sich, als hätte er gerade etwas entdeckt, was er verloren geglaubt hatte. In seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck, als er sich zum Fenster wandte.
»Also, dann können wir ja die Vorhänge aufmachen. Der Himmel hat sich aufgehellt, und es ist ein herrlicher Tag.« Er zog die Vorhänge auf und schaute hinaus. »Überall blühen die Blumen. Morgen werden wir den Swimmingpool einlassen. Ich weiß doch, daß du gerne schwimmst.«
»Daß ich gerne schwimme?« Wer hatte ihm das erzählt, überlegte ich, und wie konnte er diesen Swimmingpool morgen einlassen? Er machte den Eindruck, als müßte er zuerst einmal repariert werden.
»Ich muß mich auch um »Kohlenschaufel« kümmern. Wenn es wärmer wird, möchtest du sicher gern auf dem Pony reiten.«
»Kohlenschaufel? Was für ein lustiger Name für ein Pferd. Glaubst du wirklich, daß die Ärzte mir erlauben würden zu reiten, Tony?« Er antwortete nicht, sondern starrte immer noch nach draußen. »Tony?«
Er drehte sich um, als hätte er soeben erst meine Anwesenheit bemerkt.
»Oh. Ich träume schon wieder vor mich hin. So, und nun werde ich Mrs. Broadfield mitteilen, daß sie anfangen kann«, sagte er. Dann klatschte er in die Hände und ging aus dem Zimmer.
Kurz darauf kam Mrs. Broadfield herein, ließ mich einige Gymnastikübungen machen und massierte meine Schenkel.
Obwohl sie meine Beine hochhob und in alle Richtungen verdrehte, spürte ich nichts – keinen Schmerz, kein Ziehen, genau wie Dr. Malisoff vorausgesagt hatte. Ich hatte nur ein wenig Gefühl in den Zehen, aber
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