Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
wirklicher Vater hatte beschlossen, daß es Zeit war, der Verwirrung ein Ende zu machen. Er zeigte uns den Weg, den Weg aus dem Labyrinth.
»Wir verspüren keinen Haß, und es gibt niemanden, dem wir etwas zu verzeihen haben.«
Er lächelte unter Tränen.
»Du hast so viel von Heaven in dir. Ich glaube, was du von ihr geerbt hast, ist stark genug, um die Melancholie zu besiegen, die du von mir mitbekommen hast.
Ich habe mich lange Zeit geschämt und diese Liebesnacht bereut, aber als ich sah, wie schön du geworden bist, und erkannte, wie anders dein Leben sein könnte, wenn du frei wärst von all den Lügen und Täuschungen, entschloß ich mich, dir das beste, das einzige Geschenk zu geben, das ich dir geben kann… die Wahrheit.«
»Es ist das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe. Ich danke dir… Vater.« Ich stand auf und umarmte ihn. Wir hielten uns eng umschlungen, und als wir uns wieder aus der Umarmung lösten, küßte er mich auf die Wange.
»Geh jetzt und lebe ein freies Leben, frei von all den dunklen Schatten.«
Er schüttelte Luke die Hand.
»Liebe und achte sie, so wie dein Vater Heaven geliebt und geachtet hat.«
»Ja, das verspreche ich.«
»Adieu.«
»Aber wir werden wiederkommen, um dich zu besuchen, immer wieder«, rief ich schluchzend.
»Das wäre schön. Es wird euch nicht schwerfallen, mich zu finden. Ich werde immer hier sein. Meine Flucht vor dem Leben ist vorbei.«
Er begleitete uns hinaus, und wir umarmten und küßten uns noch ein weiteres Mal. Dann stiegen Luke und ich in den Wagen. Ich blickte noch einmal zurück, um meinem Vater zu winken. Einen Augenblick lang dachte ich wehmütig, daß ich ihn vielleicht nie mehr wiedersehen könnte. Ich stellte mir vor, daß ich hierher zurückkommen und die Hütte leer vorfinden würde, voller unfertiger Spielsachen. Aber dann verdrängte der glücklichere und hoffentlich stärkere Teil in mir die düsteren Bilder und ersetzte sie durch Bilder von Troy, wie er als alter Mann, noch immer an seinen Spielsachen arbeiten und mich, Luke und unsere Kinder willkommen heißen würde.
Luke ergriff meine Hand und drückte sie.
»Halt bitte noch einmal am Familienfriedhof an, Luke.«
»Natürlich.«
Ich stieg aus, und wir gingen gemeinsam zu den Gräbern. Hand in Hand standen wir schweigend vor ihnen.
In der Ferne ragte das große, steinerne Haus auf, so hoch und majestätisch wie immer. Das Sonnenlicht durchbrach die Wolkendecke, und dann tauchten seine Strahlen den Park und das Gebäude in ein helles Licht.
Luke und ich blickten uns an. Worte aus unserer Phantasiewelt kamen mir in den Sinn:… vielleicht wird alles so sein, wie man es sich wünscht… wenn ich mir wünsche, daß die Welt aus Zucker und Sirup besteht, dann wird es so sein.
Und wenn ich will, daß es ein wunderbares Schloß gibt, mit Hofmarschall, Hofdamen und einem traurigen Prinzen, der sich nach seiner Prinzessin sehnt, dann wird es so sein.
»Sei meine Prinzessin, Annie«, sagte Luke auf einmal, als hätte er meine Gedanken gelesen.
»Für immer und ewig?«
»Für immer und ewig.«
»O ja, Luke. Ja.«
Er legte seinen Arm um mich, und wir gingen zurück zum Wagen.
Ich lächelte vor mich hin. Ich war mir ganz sicher, daß hinter uns in der Hütte Troy gerade den Klängen des Nocturne von Chopin lauschte.
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