Castello Christo
ganz nebenbei, nachdem hinter Alicia die Tür ins Schloss gefallen war.
»Wem würde diese Frau nicht gefallen?«, erwiderte Matthias.
Sie sahen aneinander vorbei und schienen ihren Gedanken nachzuhängen, bis Varotto sich zur Tür wandte und sagte: »Also dann – können wir in einer Viertelstunde fahren?«
Matthias sah ihn verwirrt an. »Fahren? Wohin?«
»Na, nach Marmore. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich Alicia mitnehme? Wenn wir dort finden, was wir uns erhoffen, kann die Sache sehr gefährlich werden. Möchtest du sie dieser Gefahr aussetzen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich dachte nur, weil du ihr . . .«
Varotto tat den Einwand mit einer Handbewegung ab. »Wie sagte schon Winston Churchill? ›Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.‹ Außerdem haben wir keine Zeit zu verlieren. Jede Stunde, die wir unnütz verstreichen lassen, können diese Irren dazu nutzen, eine weitere Kreuzwegstation nachzustellen. Mich wundert sowieso, dass noch kein . . .« Er stockte und sah auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor Mitternacht. »Dass
heute
noch kein neuer Mord entdeckt wurde ... Könnte allerdings auch sein, dass meine lieben Kollegen mich darüber nicht mehr informieren. Also: Abfahrt in einer Viertelstunde. Wenn wir dort ankommen, schläft wahrscheinlich alles. Das kann von großem Vorteil für uns sein.«
Der Gedanke, Alicia so auszutricksen, gefiel Matthias zwar ganz und gar nicht, aber wenn er sich vorstellte, sie könnte verletzt werden oder gar noch Schlimmeres ...
»Gut«, sagte er, »ich schaue mir auf Google Maps noch die unmittelbare Umgebung von diesem Castello an, dann können wir los.«
Als Matthias das Zimmer verlassen hatte, ließ Varotto sich aufs Sofa fallen und schloss die Augen. Fast augenblicklich lief ein Film vor ihm ab, in dem der blonde Deutsche von einer Frau umarmt und innig geküsst wurde. Nicht auf die Wange, sondern auf den Mund. Als die Frau den Kopf hob, erkannte er, dass es nicht Alicia war, sondern – Francesca. Mit lautem Stöhnen riss er die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf.
Rom. Via Vitelleschi
48
Kaum hatte Salvatore Bertoni seine Wohnung betreten, griff er zum Telefon und wählte die Privatnummer des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre. Während der Fahrt hatte er hin und her überlegt und war schließlich zu dem Entschluss gekommen, den Kardinal trotz der späten Stunde noch anzurufen.
Voigt meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln. Bertoni entschuldigte sich für die späte Störung und erzählte ihm dann von dem seltsamen Anruf und dass er sich mit Matthias und der Journalistin bei Commissario Varotto getroffen hatte. Auch von dem Mordanschlag auf den Deutschen berichtete er und von der Verletzung, die dieser davongetragen hatte.
Der Kardinal wartete, bis Bertoni mit seinem Bericht zu Ende war, bevor er ihn fragte, warum er erst so spät darüber informiert werde. Bertoni erklärte, dass er schon auf dem Weg zu Varotto gewesen sei, als der Anruf kam, und er zuerst wissen wollte, was der Commissario, Matthias und Signorina Egostina darüber dachten. Von der Bitte des Deutschen, dem Kardinal erst alles zu erzählen, nachdem sie sich das Castello angesehen hatten, sagte er nichts. Ebenso wenig erwähnte er das offensichtliche Misstrauen, das Matthias mittlerweile gegen den Präfekten hegte. Kardinal Voigt bedankte sich und legte auf.
Il Castello, kurz nach Mitternacht
49
»Haltet euch bereit, sie kommen.«
Der Abbas presste den Hörer intuitiv fester ans Ohr, obwohl die militärisch knappen Worte klar und deutlich zu verstehen gewesen waren. Mit einer hastigen Bewegung legte er auf und verließ das Zimmer. Sein Herz raste, während er durch die langen, nur spärlich beleuchteten Gänge eilte. Direkt unter einer der Lampen machte er vor einer Tür halt und stieß sie auf. Der schmale Raum wurde nur durch den Streifen Licht erhellt, das von der Flurlampe hereindrang. Es reichte aus, dass er den Mann sehen konnte, der sich ohne Hast und ohne erkennbares Zeichen des Erschreckens im Bett aufrichtete. Der Mann blinzelte und hielt sich eine Hand vor die Augen.
»Es ist so weit«, sagte der Abbas. »Mach dich fertig.«
Der Mann nickte. Er schlug die Decke zurück, stand auf und schlüpfte in die braune Mönchskutte auf dem Stuhl neben sich.
Ohne ein weiteres Wort verließen sie hintereinander die Kammer. Während der Abbas zurück in sein Zimmer ging, betrat der Mann nacheinander mehrere der kleinen Kammern und
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