Castello Christo
Als er etwas auf der Schulter spürte, fuhr er zusammen. Nur mit Mühe unterdrückte er einen Aufschrei.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte Matthias hinter ihm. »Meinst du nicht, es wäre besser, wir warten, bis es hell wird? Selbst wenn wir dieses Castello finden sollten, werden wir nicht viel erkennen.«
Varotto drehte sich um. »Hast du etwa Angst nachts im Wald?« Es klang aggressiv und tat ihm im nächsten Moment schon wieder leid. Er wusste genau, warum Matthiasdiesen Vorschlag gemacht hatte; es war ihm dabei ganz bestimmt nicht um sich gegangen. »Entschuldige«, erklärte er deshalb schnell. »Es ist alles in Ordnung, keine Sorge. Ich sag’s schon, wenn ich nicht mehr weiterkann.«
Bald begann der Weg stark anzusteigen. Varotto keuchte, wollte die Lampe aber nicht an Matthias abgeben. Sie lenkte ihn von seinen Gedanken an feucht riechende Schwärze und dumpfe Stille ab, die ihm den Atem von den Lippen pflücken wollten. Eine Dreiviertelstunde waren sie schon bergauf durch den Wald gestolpert, als Varotto unvermittelt stehen blieb und die Taschenlampe ausschaltete.
»Was ist?«, flüsterte Matthias. »Hast du etwas gehört?«
Varotto schüttelte den Kopf. Erklären musste er nichts, denn nun sah auch Matthias deutlich den gelblichen Schimmer durch die Bäume.
Von ihrem Platz aus konnten sie eine etwa drei Meter hohe Mauer auf einer kleinen Lichtung erkennen, die die Größe eines Fußballfeldes haben mochte. Der obere Rand der Mauer war gleichmäßig von Schießscharten unterbrochen. Direkt hinter der Mauer ragte das Dach eines langen Gebäudes in die Höhe. Es zog sich fast über die gesamte Breite hin und wurde wohl von Bodenstrahlern angeleuchtet. Das Ganze wirkte sehr gespenstisch.
»Los, weiter, aber leise«, flüsterte der Commissario.
Ohne das Licht der Stablampe war jedoch ein halbwegs leises Vorankommen unmöglich. Immer wieder knackten kleine Zweige unter ihren Fußsohlen, was ihnen jedes Mal wie ein Donnerschlag vorkam, so dass sie erschrocken innehielten, bevor sie vorsichtig den nächsten Schritt wagten.
Plötzlich packte der Commissario Matthias mit festem Griff am Oberarm und zog ihn nach unten in die Hocke, wobei er fast hingefallen wäre.
»Schschsch . . .«
Mit der freien Hand deutete Varotto nach vorne, wo nun auch Matthias zwei schemenhafte Gestalten entdeckte, die vor der Mauer auf und ab gingen. Einer der beiden hatte etwas über die Schulter gehängt, das ein Gewehr sein konnte. Als sie an dem Mauerstück entlanggingen, das direkt vor Varotto und Matthias lag, betrug der Abstand zwischen ihnen nur noch etwa fünfzig Meter. Matthias hielt die Luft an und spitzte die Ohren, als etwas kalt und hart gegen seinen Nacken drückte.
»Aufstehen! Aber schön langsam«, sagte eine schneidende Stimme hinter ihnen.
Vatikan. Apostolischer Palast
53
Schon wenige Sekunden nachdem der Sekretär an die Tür der Privatgemächer geklopft hatte, bat ihn die Stimme des Papstes, einzutreten. Es war der gleiche Ablauf wie jeden Morgen. Allerdings ließ der Papst sich normalerweise um fünf Uhr wecken, nun aber war es halb vier.
Vorsichtig, als könnte noch jemand in seiner Ruhe gestört werden, öffnete der Mann die Tür und ging mit leisen Schritten zu dem massiven Bett.
Der Oberhirte der katholischen Kirche schien sich der ungewöhnlichen Uhrzeit gar nicht bewusst zu sein. Freundlich sah er seinem Privatsekretär entgegen.
»Eure Heiligkeit, verzeihen Sie bitte, dass ich Sie mitten in der Nacht wecke, aber Seine Eminenz Kardinal Voigt ist am Telefon. Er meint, es gehe um Leben und Tod. Er klingt sehr aufgeregt. Ich wusste nicht . . .«
Der Papst sah ihn voller Güte an und winkte ab. »Keine Sorge, es war richtig, dass Sie mich geweckt haben. Geben Sie mir bitte das Telefon.«
»Eure Heiligkeit«, hörte er kurz darauf die Stimme des Kardinalpräfekten, »bitte entschuldigen Sie die Störung zu nachtschlafender Zeit, aber es geht im wahrsten Sinn des Wortes um Leben und Tod.«
Der Papst zögerte einen Moment. »Was ist geschehen?«
»Bitte, Eure Heiligkeit, nicht am Telefon. Es betrifft Ihren alten Freund Niccolò Gatto.«
Ein Ruck ging durch den Körper des Papstes. »Heilige Jungfrau Maria! Kommen Sie sofort her.«
Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille, dann sagte Voigt: »Das geht nicht. Ich bitte Sie, Eure Heiligkeit, Sie müssen in den Keller des Apostolischen Palastes kommen. Ich beschreibe Ihnen, wie Sie von Ihren Gemächern aus zu dem Raum
Weitere Kostenlose Bücher