Castello Christo
wie weit ist es von hier bis zum Vatikan?«
Der alte Mann sah ihn verständnislos an. »Etwa drei Kilometer. Warum?«
»Ich behaupte, nicht viel mehr als einen Kilometer.«
Matthias schüttelte den Kopf. »Einen Kilometer? Niemals.«
Aber Varotto blieb bei seiner Meinung. »Doch.«
Matthias hob die Hand. »Moment. Du . . .« Er stockte, dann riss er die Augen auf. »Mein Gott, jetzt verstehe ich. Luftlinie! Wenn man normalerweise eine Entfernungsangabe macht, meint man automatisch die Kilometer, die man auf der Straße zurücklegen muss. So wie Niccolò Gatto wahrscheinlich auch. Wir aber haben die hundert Kilometer in der Luftlinie abgezirkelt. So betrachtet, müsste das Kloster also ein gutes Stück näher an Rom liegen.«
»Genau. Ich würde sagen, wenn wir in etwa von fünfzig bis achtzig Kilometer Luftlinie ausgehen, könnte das passen.«
Alicia sprang auf. »Das können wir noch exakter haben. Ich suche im Internet mit dem Routenplaner einen Ort, der etwa hundert Kilometer von Rom entfernt ist. Dann schauen wir, wo er auf der Karte liegt, und schwupps, können wir einen neuen Kreis ziehen.«
Eine halbe Stunde später schwenkte sie freudestrahlend einen Zettel. Sie hatte tatsächlich zwei Gebäude gefunden, die in Frage kamen. Beides waren ehemalige Klöster, diemittlerweile anderweitig genutzt wurden. Das eine befand sich südöstlich der Hauptstadt am Ortsrand von Veroli und war Ende der sechziger Jahre von der Gemeinde übernommen worden. Das zweite lag in einer Hügellandschaft etwa hundertzehn Kilometer nördlich von Rom. Das nächste Dorf, Marmore, war drei Kilometer entfernt. In der Nähe gab es die beeindruckenden, 290 v. Chr. künstlich angelegten Wasserfälle, die
Cascata delle Marmore
. Laut der Beschreibung, auf die Alicia im Internet gestoßen war, hatte das Anwesen ursprünglich einem alten Rittergeschlecht gehört. Aus Angst vor Überfällen hatte die Adelsfamilie eine hohe Mauer um den Gutshof errichten lassen, in der zur Verteidigung Schießscharten eingelassen waren. Dieser Mauer verdankte die Besitzung ihren Namen:
Il Castello.
Anfang des 18. Jahrhunderts hatte die verarmte Familie das Gehöft dann den Benediktinern überlassen. Nachdem der letzte Mönch 1974 das Zeitliche gesegnet hatte, verkaufte die Ordensgemeinschaft das Kloster an einen Privatmann.
Gespannt hatten alle zugehört, aber noch während Alicia die letzten Sätze sprach, runzelte Bertoni die Stirn. Er schien einige Sekunden angestrengt nachzudenken, dann hellte sich seine Miene auf.
»›Seine Burg wird sein neues Golgatha sein. Sie ist so falsch wie die Güte seines Vaters‹«, sagte er gerade so laut, dass die anderen ihn verstehen konnten.
»Was ist damit, Monsignore?«, wollte Matthias wissen.
»Der Anrufer. Er sagte: ›Seine Burg wird sein neues Golgatha sein.‹ Und Signorina Egostina hat ein altes Kloster entdeckt, das den Namen
Il Castello
trägt.«
Matthias sprang auf. »Aber natürlich! Und auch der nächste Satz passt: ›Sie ist so falsch wie die Güte seines Vaters.‹ Dieses Castello ist eine ›falsche‹ Burg, denn eigentlich ist es ja ein Gutshof.«
Wieder herrschte einige Sekunden Stille, bis Alicia sagte: »Und wie geht’s jetzt weiter?«
Varotto räusperte sich. »Wir sehen uns das an. Wenn wir mit unserer Vermutung richtig liegen, verständige ich die Kollegen.« Erleichtert seufzte er auf. »Endlich haben wir eine Spur.«
»Wann brechen wir auf?«, wollte Alicia wissen.
Varotto sah sie an. »Wir? Ich werde mit Matthias alleine hinfahren.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage, Daniele! Und komm mir jetzt bloß nicht mit solchen chauvinistischen Sprüchen wie: ›Das ist viel zu gefährlich für eine Frau.‹ Erstens bin ich Reporterin und zweitens nicht aus Zucker. Und ich weiß, wo dieses Castello liegt. Entweder ihr nehmt mich mit, oder ich fahre alleine hin. Wir können ja eine Wette abschließen, wer eher da ist.«
»Das ist viel zu gefährlich für eine Frau«, antwortete Varotto, doch bevor sie aufbrausen konnte, grinste er breit. »He, schon gut, das war ein Scherz.«
»Das ist endlich wieder der Daniele, den ich kenne.« Alicia lächelte.
Bevor sie das Thema vertiefen konnten, sagte Matthias: »Also dann morgen früh um acht hier.«
Bertoni erhob sich mühsam und wandte sich an Matthias. »Sie haben meine Telefonnummer. Rufen Sie mich an, wann immer Sie mich brauchen. Ich stehe jederzeit zu Ihrer Verfügung.«
Matthias nickte. »Vielen Dank, Monsignore. Ich begleite
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