Cathérine de Montsalvy
das Wort kaum ausgesprochen, als eine Rotte Bogenschützen herausstürmte, von den Schreien der Alten angezogen. Chryssoula mußte ihnen bekannt sein, denn sie gehorchten ohne Widerrede dem Befehl, den sie ihnen mit zwei Gesten gab. Die eine wies auf Fero, die andere auf das Schloßportal. Von vier stämmigen Kerlen gepackt, wurde der Zigeuneranführer gewaltsam zum Ausgang gezogen.
»Ich liebe dich! Du bist meine Frau! Ich komme wieder!« rief er über die Schulter zurück.
Im nächsten Augenblick war er verschwunden, und Cathérine, trotz allem erleichtert, folgte gehorsam Chryssoula, die Anzeichen großer Erregung von sich gab. Der kurze Spaziergang, den der Herr erlaubt hatte, war für ihren Geschmack allzu ergiebig an beunruhigenden Ereignissen gewesen. Einige Minuten später fand Cathérine sich in ihrer Kammer wieder, doppelt eingeschlossen … aber allein, glücklicherweise allein! Im Nu vergaß sie Fero und nahm die Gelegenheit wahr, den Inhalt ihres Almosenbeutels aufs Bett zu leeren. Sodann griff sie nach der kleinen Pergamentrolle und las, was Tristan geschrieben hatte: »Habt keine Sorge um Sara. Ich weiß, wo sie ist, und wache über sie, wie ich über Euch wache!«
Cathérine stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Diese wenigen Zeilen löschten die Drohung Gilles de Rais' kategorisch aus. Keinen Augenblick hegte die junge Frau Zweifel an Tristans Versicherung. Es steckten in dem seltsamen Stallmeister des Konnetabels de Richemont eine Willenskraft, eine ruhige Stärke, denen sie sich vertrauensvoll unterwarf. Sie hielt den Mann, der, von den Leuten Gilles de Rais' gehetzt, Mittel und Wege gefunden hatte, ihnen nicht nur zu entwischen, sondern sich sogar als Lakai in den Haushalt des Großkämmerers einzuschmuggeln, zu allem fähig. Wenn Tristan L'Hermite Sara unter seinen Schutz nahm, brauchte sie sich keine Sorgen zu machen …
Mit freierem Kopf ließ sie die langweiligen Stunden des Tages an sich vorüberfließen. Ihre Tür öffnete sich nicht mehr, bis die Abendschatten in ihre Kammer gedrungen waren. Dann kam Chryssoula, um die Kerzen anzuzünden und das Abendessen zu bringen, das diesmal jedoch keine Botschaft enthielt. Doch als Cathérine ihr Mahl beendet hatte und die alte Sklavin sich zurückziehen wollte, kam ihre Schwester herein. Beide machten sich an Cathérines Toilette. Sie wurde gewaschen, parfümiert, mit einer Nachtrobe aus feinem weißem Musselin bekleidet, die ihren Körper nur wie in eine leichte Wolke hüllte, und dann sorgsam ins Bett gebracht, dessen Linnenlaken abgezogen und durch purpurrote Seidenlaken ersetzt worden waren.
Alle diese Vorbereitungen ließen die junge Frau erzittern. Sie waren nur zu bedeutungsvoll. Man machte sie zurecht, wie es dem orientalischen Geschmack ihres neuen Herrn am angenehmsten war. Bald würde sich die Pforte, durch die die beiden Frauen jetzt verschwanden, wieder öffnen, um die korpulente, prächtig aufgeputzte Gestalt des Großkämmerers einzulassen. Als sie an den grobschlächtigen, widerlich fetten Körper dachte, der sich über sie wälzen würde, wurde Cathérine übel, und sie schloß die Augen. Sie vergegenwärtigte sich den schlaffen Mund, die verdorbenen Zähne, den übertrieben parfümierten Bart. Schnell sprang sie aus dem Bett, lief zu ihrem Almosenbeutel, zog den Dolch heraus und schob ihn in Reichweite ihrer Hand unters Kopfkissen. Und schon fühlte sie sich beruhigt. Was hatte sie von nun an noch zu fürchten? Wenn La Trémoille sich über sie würfe, würde der Dolch Arnauds zustoßen, und alles wäre vorbei. Zweifellos käme sie hier nicht lebend heraus … es sei denn, Tristan, der ihr die Waffe in einer bestimmten Absicht übermittelt hatte, hätte für ihre Flucht vorgesorgt. Wenn sie ihn nur einen Augenblick hätte sprechen können! Vielleicht hielt er sich ganz in der Nähe auf, darauf wartend, daß sich in dieser Kammer etwas zutrüge …
Die Stunden verrannen, ohne daß sich etwas ereignete. Regungslos auf ihrem Bett ausgestreckt, nahm Cathérine undeutlich den fernen Trubel des königlichen Festes wahr. Rufe, Gelächter, Trinklieder. Die fromme Königin Marie, Gemahlin Karls VII., wurde in Kürze aus Bourges erwartet. Der König machte sich ihre Abwesenheit offenbar zunutze, indem er sich vor ihrer Ankunft mit seinen Kumpanen noch einmal den üblichen Vergnügungen hingab … Cathérine hörte, wie Mitternacht ausgerufen wurde, dann folgte die Ablösung der Bogenschützenwache. Wie lange mußte sie
Weitere Kostenlose Bücher