Cathérine de Montsalvy
hatte, wenn das Elend des Landes in dieser reichen und gut verteidigten Stadt auch nicht so grausam empfunden worden war, waren deren Auswirkungen doch von den ernsten Gesichtern und der mißtrauischen Haltung der Bevölkerung abzulesen. Man sah nur verschlossene Mienen, Trauerkleidung, und die normale Geschäftigkeit einer blühenden Stadt herrschte nicht in den stillen Straßen, in denen man nur leise wie in einer Kirche sprach. Indessen machte alles den Eindruck von Energie und Ordnung. Keine Bettler, keine betrunkenen Soldaten, keine mannstollen Mädchen! Diese zur Lebenslust wie geschaffene Stadt mit ihren Gärten, ihren blauen Dächern und weißen Häusern hatte sich in eine stets wachsame Festung verwandelt. Selbst die Flüchtlinge, die sie wie eine Henne, die ihre junge Brut unter ihrem Gefieder versammelt, aufgenommen hatte, waren so in der Stadt untergebracht worden, daß sie die Ordnung und Verteidigung nicht störten. Alles zeigte hier deutlich, daß Yolande von Anjou zu regieren, zu helfen und sich zu schlagen verstand.
Das riesige Schloß, das seine schwarzgrauen Türme aus Granit und Schiefer, um seinen kolossalen Wehrturm gruppiert, in der Maine spiegelte, verstärkte diesen Eindruck. Ein Wald von blauen, wie Stahl glänzenden Spitztürmchen, eine Unzahl von Glockentürmen, Wehrgänge und vergoldete Wetterfahnen krönten es. Überall auf den Zinnen zeigten sich Bewaffnete mit Speeren, Armbrüsten oder Sicheln, und ganz oben auf dem Burgturm knatterte eine riesige Standarte in dem mit Regen geladenen, vom Meer her wehenden Wind. Blau, purpur, weiß und gold, trug diese Fahne die Kreuze Jerusalems, das Wappen von Sizilien, die Lilien Anjous und die Streifen Aragons: die Wappen der Herzogin-Königin, die man goldbekränzt und in den Händen eines Engels über dem Stadttor wiederfand.
In Angers konnte Bruder Etienne in der Stadt und im Schloß herumgehen, wie es ihm gefiel, und es fehlte nur noch, daß ihm die Wachen Ehrenbezeigungen erwiesen. Cathérine konnte den riesigen Hof nur durch einen Regenvorhang sehen, nachdem sie die tiefen Gräben überquert hatte, und außerdem schwamm ihr unter der von Wasser triefenden Kapuze vor Müdigkeit alles vor den Augen. Im Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher als ein Bett, ein richtiges Bett mit Laken, um ihren Körper ausstrecken zu können, der von den Nächten auf Felsen und der nackten Erde zerschunden war. Aber zuerst mußte sie sich Madame Yolande präsentieren. Bruder Etienne ließ seine beiden Gefährtinnen in einem großen Saal des herzoglichen Quartiers zurück, dessen hohe Fenster auf die mit schweren Ketten gesperrte Maine und die Unterstadt hinausblickten. Sara ließ sich sofort auf eine Bank vor dem Kamin fallen und schlief im Nu ein. Cathérine blieb stehen. Alle ihre Muskeln schmerzten so sehr, daß sie fürchtete, nicht mehr aufstehen zu können, wenn sie sich setzte …
Sie brauchte übrigens nicht lange zu warten. Nach einigen Minuten erschien der Mönch wieder.
»Kommt, mein Kind, die Königin erwartet Euch!«
Einen letzten Blick auf Sara werfend, die sich nicht gerührt hatte, folgte Cathérine Bruder Etienne. Er führte sie durch eine niedrige Pforte, vor der zwei mit Hellebarden bewaffnete Posten unbeweglich wie Statuen auf gespreizten Beinen standen. Dahinter öffnete sich ein großer Raum, dessen Wände völlig mit Tapisserien bespannt waren. Ein riesiger, aus Stein gehauener Kamin, in dem ein ganzer Baumstamm brannte, erhellte ihn zusammen mit einer Anzahl großer gelber Kerzen, die in einem bronzenen Dreifuß staken. Ein kolossales Bett, die zurückgeschlagenen Vorhänge aus purpurnem Samt mit den Lilien Frankreichs bestickt, nahm ein gutes Viertel des an sich schon respektablen Raumes ein. In der Ecke gegenüber saß eine Ehrendame und strickte, ohne beim Eintritt Cathérines den Kopf zu heben. Auch diese hatte keinen Blick für sie übrig. Vom Augenblick ihres Eintritts an sah sie nur die Königin!
In einem großen Ebenholzsessel sitzend, von wärmenden Kissen umgeben, die schmalen Füße fest auf einen Heizschemel gesetzt, sah Yolande ihr entgegen, und Cathérines Herz krampfte sich zusammen, als sie die Verwüstungen bemerkte, mit denen die letzten drei Jahre das feine und edle Gesicht der Herzogin-Königin gezeichnet hatten. Die schwarzen Haare, die unter der strengen Witwenhaube zum Vorschein kamen, waren grau geworden, ihre Züge waren eingefallen, der matte Teint war gelblich wie Pergament. Die Monate des
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