Catriona
als ich schon im Gehen war. Mein Scharmützel mit dieser überraschenden und etwas erschütternden Dame hatte meinen Gedanken eine bisher fremde und gewagte Richtung gegeben. Zwei Tage lang hatte Catriona sich in all mein Denken eingedrängt; ja, sie war gleichsam dessen Hintergrund gewesen, so daß ich kaum mit mir allein zu sein vermochte, ohne in irgendeinem Winkel meines Gehirns ihr Bild zu erspähen. Jetzt jedoch war sie mir mit einem Schlage ganz nahe gerückt: ich schien sie zu berühren, sie, deren Hand ich nur ein einziges Mal berührt hatte, und mein ganzes Sein strömte ihr in einer Art glückseliger Schwäche entgegen. Wenn ich im Geiste Zukunft und Vergangenheit überblickte, erschien das Leben mir wie eine häßliche Wüste, in die die Menschen hineinmarschieren, wie Soldaten zu ihrer Pflicht; Catriona allein vermochte mir Freude zubieten. Ich wunderte mich über mich selbst, daß es mir möglich wäre, in dieser Zeit der drohenden Gefahr und Schande bei derartigen Gedanken zu verweilen, und als mir meine Jugend einfiel, schämte ich mich geradezu. Ich mußte erst meine Studien vollenden, ich mußte irgendeinen nützlichen Beruf ergreifen, ich mußte in dieser Welt, wo jeder dienen und arbeiten muß, erst meine Arbeit verrichten, ich mußte vor allem ein Mann werden und mich als Mann fühlen und erproben. Zum Glück hatte ich noch so viel Vernunft, über die Versuchung zu erröten, die jene späteren und heiligeren Pflichten für mich bedeuteten. Meine ganze Erziehung fiel hier schwer ins Gewicht; man hatte mich nicht mit Zuckerbrot gefüttert, sondern mit dem harten Brot der Wahrheit. Ich wußte, wer nicht gleichzeitig die Pflichten des Vaters erfüllen kann, taugt auch zum Gatten nicht, und für einen Jungen wie mich den Vater spielen zu wollen, war rein lächerlich.
Als ich, völlig in diese Gedanken vertieft, etwa die Hälfte des Weges zur Stadt zurückgelegt hatte, sah ich eine Gestalt auf mich zukommen, bei deren Anblick sich meine Herzensnöte noch verschärften. Mir war, als hätte ich ihr eine Welt zu sagen, ohne jedoch den Anfang finden zu können, und bei dem Gedanken an meine Verlegenheit heute morgen im Hause des Staatsanwalts, war ich überzeugt, ich würde kein Wort über die Lippen bringen. Aber in dem Moment, da sie mich erreichte, flohen auch alle meine Befürchtungen; selbst das Bewußtsein meiner geheimen Gedanken brachte mich nicht im geringsten außer Fassung, und ich fand, daß ich mich so leicht und vernünftig mit ihr unterhalten konnte wie mit Alan selbst. »O,« rief sie, »Ihr wolltet Euren Sixpence holen, habt Ihr ihn bekommen?« Ich sagte ihr, nein, aber mein Spaziergang wäre nun, da ich sie getroffen hätte, nicht umsonst gewesen. »Obwohl ich Euch heute schon einmal gesehen habe«, fügte ich hinzu und erzählte ihr, wo und wie. »Ich habe Euch nicht bemerkt«, antwortete sie. »Ich habe zwar große Augen, aber was Sehen anbelangt, gibt es deren bessere. Ich hörte nur jemanden im Hause singen.« »Das war Miß Grant,« sagte ich, »die älteste und schönste von den Töchtern.« »Sie sollen alle wunderschön sein«, meinte sie.
»Das gleiche denken sie von Euch, Miß Drummond,« entgegnete ich, »und alle stürzten ans Fenster, Euch zu sehen.«
»Wie schade, daß ich so kurzsichtig bin,« bemerkte sie, »sonst hätte ich sie auch sehen können. Und Ihr wart im Hause selber? Ihr müßt Euch bei der schönen Musik und den hübschen Damen gut unterhalten haben.« »Da irrt Ihr Euch gründlich«, erwiderte ich; »ich war so unbeholfen wie ein Seefisch auf der Berghalde. In Wahrheit tauge ich besser dazu, mit rauhen Männern als mit hübschen Damen umzugehen.« »Ich glaube wirklich, ja!« sagte sie, und wir mußten beide lachen. »Es ist doch eine seltsame Sache«, hub ich von neuem an. »Vor Euch habe ich nicht die geringste Angst, und doch wäre ich vor den Miß Grants am liebsten davongelaufen. Vor Eurer Base habe ich mich auch gefürchtet.« »O, ich glaube, vor der hat jeder Mann Angst«, rief sie. »Selbst mein Vater fürchtet sich vor ihr.« Der Name ihres Vaters ließ mich innehalten. Ich sah sie an, wie sie da an meiner Seite ging; ich stellte mir den Mann vor und das wenige, was ich von ihm wußte, sowie all das, was ich vermutete; dann verglich ich die beiden und kam mir bei meinem Schweigen wie ein Verräter vor. »Übrigens habe ich Euren Vater erst heute morgen getroffen«, sagte ich. »Wirklich?« rief sie mit so freudiger Stimme, daß sie meiner zu
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