Zigeunerstern: Roman (German Edition)
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Was mich hauptsächlich dazu veranlasste, auf den Thron zu verzichten, war die Erkenntnis, dass es hohe Zeit sei, alles von mir abzuschütteln und 'ne Fliege zu machen. Eine meiner bevorzugten Taktiken – und ich hatte damit schon oft großen Erfolg – ist der Angriff durch Rückzug. Man könnte es auch als ›passive Aggression‹ bezeichnen.
Und so verließ ich denn in einer Zeit des Schnees Galgala, ließ meinen Thron zurück und mein Haus der Kraft und alles andere und verschwand auf die Mulano {1} genannte Welt. Der Name bedeutet ›Welt der Gespenster‹. Was ich aber dort zu finden suchte, war nichts weiter als ein stiller Ort, an dem ich leben konnte – ausgerechnet ich, dem es sonst nie laut, turbulent und aufregend genug sein konnte; und genau das fand ich dort, inmitten all der schneeig-weißen Helligkeit. Ich war gerade einhundertundzweiundsiebzig Jahre jung, und soweit es mich anging, war ich in meinem ganzen Leben nie König der Zigeuner gewesen und der und jener sollte mich holen, bevor ich mich von irgendwem beschwatzen lassen würde, wieder ›König der Zigeuner‹ zu sein.
Mein Thron fehlte mir nicht. Es machte mir nichts aus, nicht mehr in meinem Haus der Kraft zu wohnen. Und Galgala fehlte mir auch nicht. Oder höchstens ihr Gold, vermute ich. Doch, ja, das Gold von Galgala fehlte mir. Wegen seines Schimmers, wegen seiner Schönheit. (Ganz gewisslich nicht wegen seines materiellen Werts. Was ist der denn schon?)
Die Dinge auf Galgala sind alle golden. Und in den Adern der Katzen und Hunde – oder vielmehr der Tiere, die man in den alten Zeiten auf der Erde als Katzen und Hunde bezeichnet hätte – pulsiert flüssiges Gold. In den Blättern der Bäume ist Gold eingelagert, und im Sand der Wüsten funkeln Goldkörner, und die Steine des Straßenpflasters blitzen von Goldplättchen. Es ist wahrhaftig so: Auf Galgala sind die Straßen wirklich mit Gold gepflastert. Man kann sich vorstellen, was für Auswirkungen die Entdeckung eines derartigen Planeten für das galaktische Wirtschaftssystem hätte haben müssen, wenn wir noch den Goldstandard gehabt hätten, als sie Galgala fanden. Doch natürlich war diese drollige, obschon vernünftige archaische Methode bereits seit Jahrhunderten aus der Mode, bevor die erste Erkundungsgruppe dort landete.
Dank Galgala ist nun das Gold überall in der Galaxis ziemlich wertlos geworden. Und dennoch übt der Stoff noch immer eine Faszination auf uns törichte Sterbliche aus, auch trotz der einschneidenden Auswirkungen auf seinen Handelswert, die sich nach der Entdeckung Galgalas einstellten. Und ganz besonders hingerissen vom Gold ist jene Gattung törichter Sterblicher, die andere Leute als Zigeuner bezeichnen. Mein Volk. Höchstwahrscheinlich auch das eurige: denn ich hoffe und glaube, dass die meisten von euch, die dies hier lesen, von meiner Art sind. (Damit meine ich jene, die sich selbst als ›die Rom‹ bezeichnen und die sich diesen Namen gaben, noch ehe die Erde war.)
Wir Rom liebten von jeher das Gold. In der alten Zeit behängten sich unsere Weiber mit schweren protzigen Ketten von Goldmünzen, die ihnen wie geflochtene Knoblauchzöpfe über die schönen schaukelnden Brüste hingen. Man brauchte wahrhaftig eine Metallsäge, wollte man sich durch all das Gold bis zu den Halbkugeln vorarbeiten, die unter derartigen Massen gelben Metalls tanzten. Und wir Männer – ach, was ließen wir uns für Tricks für unser Gold einfallen, damals in Ungarn und in Rumänien und all den übrigen längstvergessenen Gegenden der alten verlorenen Erde! Die ins Taschentuch gewickelte und in die Hose gestopfte Rolle Napoléondors, damit es einen prächtigen Wulst gab und man aussah, als sei man dort bestückt wie ein Elefantenbulle! Und dann stellt euch mal die Verblüffung unserer Mädchen vor, wenn die Hosen fielen.
(Aber natürlich kannst du eine aus unserem Volk im Grunde nicht überraschen, denn sie hat alles längst gesehen. Und unsere Frauen sind außerdem viel zu klar und vernünftig in ihren Köpfen, als dass sie auf bloße Größe hereinfallen würden: Sie legen mehr Wert auf Geschick und Können und auf etwas Energie.)
Nun, ich hatte also Galgala und all sein glitzerndes Gold ein für allemal aufgegeben. Meine Macht und meine Herrlichkeit lagen hinter mir. Und meine Heimat war nun Mulano.
Mulano war eine recht gute und friedliche Welt. Etwas kalt zwar, aber nicht wirklich unwirtlich. Und es herrschte hier ein Schweigen über allem, das mir sehr
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