Catullus - Der Tote im Ghetto - Eine Science Fiction Serie 1 (German Edition)
Oberkörper zurück, plumpst deswegen aber auf ihren Hintern. Die Frau neben ihr, ein dunkelhäutiger Teenager mit einer Augenklappe, bückt sich, hilft ihr zurück auf die Beine. So darf mein Leben nicht enden, denkt sich Doris. So nicht. Sie flüstert ein Wort des Dankes, und dann spürt sie etwas, was sie seit Jahren nicht mehr erlebt hat - Tränen fließen über ihre Wangen.
Der Doc ist kein Doc, es ist ein Computer aus dem vergangenen Jahrhundert, der nach Eingabe der Symptome die Diagnose stellt. Ein Junkie übermittelt Doris das Ergebnis.
- Gehirnerschütterung
- Das hätte ich auch sagen können. Aber was habt ihr mir gegeben? Was für ein Schmerzmittel? Ich bin nicht richtig bei mir.
- Weiß ich doch nicht.
- Ich bin Europabürgerin. Lasst mich gehen. Wenn ich hier sterbe, habt ihr nur ne Menge Ärger am Hals.
- Das entscheidet Pac.
- Mir geht's dreckig, hörst du? Mir geht's richtig schlecht.
- Gehirnerschütterung wird dich nicht umbringen.
Als das Schmerzmittel langsam nachlässt und ihr Kopf sich anfühlt, als hätte ihn wer mit einem Hammer bearbeitet, wird Doris auch klar, dass sie ein weiteres Notsignal absenden kann. An Beer zumindest, denn sie ist ja nicht im Dienst, aber mit Beer ist sie verbunden. Sie versucht sich zu konzentrieren, denn der Notruf wird aktiviert, wenn der Chip die Gehirnströme liest und diese als SOS-Ruf erkennt. Schließlich scheint es zu klappen, sie ist bereits wieder aus dem Gebäude, in dem der Doc in einem Keller haust, ist auf dem Weg zu Pacs Hauptquartier. In dem Bezirk stehen viele Hochhäuser, grau, kalt, Betonklötze ohne Menschen, die meisten jedenfalls. Sie sind einsturzgefährdet, weil die Bombardierung des Ghettos vor zwanzig Jahren viele Schäden an den Gebäuden angerichtet hat. Zwei vermummte Männer, klein und stämmig, schwer bewaffnet und mit unzähligen Tattoos auf den Unterarmen, bringen sie zu einem Auto. Doris kann sich gar nicht erinnern, in einem Auto hergekommen zu sein. Sie steigt auf den Beifahrersitz, einer der beiden setzt sich ans Steuer, der zweite setzt sich hinter sie, eine Maschinenpistole auf ihren Kopf gerichtet.
- Nicht flüchten.
Doris schüttelt den Kopf.
- Wenn du flüchtest - du tot.
Doris spricht leise, kaum zu hören.
- Wie soll ich denn flüchten? Mir ist schlecht und schwindlig und so wie sich mein Kopf anfühlt, explodiert er jeden Moment.
- Nicht reden. Nicht explodieren. Still sein. Nichts tun.
Sie fahren zu schnell zick-zack auf dem ramponierten Asphalt, die Welt draußen wie in einem Computerspiel, alles gar nicht wahr. Die Zeit ist hier stehenblieben, und auch wenn Doris immer wieder mal im Ghetto unterwegs ist, überwältigt sie dieser Zeitsprung aufs Neue.
- Ihr bringt mich zu Pac? Ich wette, ich komme nicht mehr lebend von dort zurück, hab ich Recht?
- Das entscheidet Pac.
- Oh, Pac ist euer Anführer. Und ihr seid seine Sklaven, ich hab verstanden.
- Nicht reden.
- Was hab ich zu verlieren? Er wird mich vergewaltigen, vielleicht vier, fünf Tage lang behalten, mir dann die Gurgel aufschneiden, vielleicht vorher noch etwas foltern, und ich werde auf einer Müllhalde enden.
- Ich sag doch: Nicht reden.
Doris hat genug Fälle gehabt, in denen genau das geschah. Eine hübsche Frau wird entführt, vergewaltigt, verstümmelt und schließlich auf einer Müllhalde verbrannt. Ist es eine Ghettobewohnerin, kümmert es niemanden. Ist es eine Europabürgerin, gibt es mit etwas Glück eine Untersuchung. Aber auch nur, wenn die Person Angehörige in AREAL B oder AREAL A hat.
- Pac wird dich nicht töten.
Der Fahrer sieht sie von der Seite an. Er hat dunkle Augen, Doris glaubt sogar, er müsse dunkelhäutig sein.
- Aber vergewaltigen?
- Wenn du tust, was er verlangt, wird er dich nicht töten.
- Beruhigend zu wissen. Was verlangt er denn so, euer Anführer?
- Er wird dir Drogen anbieten, nimm sie, und es wird nur halb so schlimm. Im Gegenteil. Manche Pussys haben richtig Spaß dabei.
Doris seufzt, hält sich den Kopf mit der Rechten, schließt die Augen, draußen sind Schüsse zu hören, quietschende Reifen, draußen ist Großstadtdschungel aus einer vergangenen, untergegangen Welt. Verfluchtes Ghetto. Kein Richter, die Starken regieren, die Schwachen müssen gehorchen. Doris wird klar, warum sie Polizistin geworden ist. Weil sie das nicht will. Keine Welt, in der Warlords sich nehmen, was sie wollen, auch Leben und Frauen, in der Warlords herrschen ohne Kontrolle und allmächtig. Ein falscher Blick,
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