Caylebs Plan - 6
wiederholte Samyl.
Die Warnung, die Duchairn ihm hatte zukommen lassen, hatte Samyl ernstlich überrascht. Der Schatzmeister des Tempels hatte das Risiko auf sich genommen, mit ihm persönlich zu sprechen. So sehr Wylsynn sich auch bemüht hatte, sich auf diplomatische Umschreibungen zu beschränken, war Duchairn mit erschütternder Offenheit gleich auf den Punkt gekommen.
»Clyntahn muss jemanden im ›Kreis‹ haben, Samyl«, erklärte sein Bruder jetzt, und in seiner Stimme schwang unverkennbar Anspannung mit.
»Wir sind schon seit langer Zeit tätig«, erwiderte Samyl. »Es gibt reichlich andere Dinge, mit denen wir uns verraten haben könnten.«
»Natürlich gibt es die«, sagte Hauwerd ungeduldig. »Aber das ist nicht passiert, und das weißt du ebenso gut wie ich! Wenn Duchairn Recht hat, dann wartete Clyntahn nur den Moment ab, der ihm persönlich am praktischsten erscheint. Er würde aber nicht abwarten, wenn er nicht sehr zuversichtlich wäre, alles zu wissen, was wir tun. Er muss sich sicher sein, dass wir nicht allesamt einfach spurlos verschwinden, bevor er zuschlagen kann. Und das kann er nur wissen, wenn jemand aus unserer Mitte ihm von unseren Überlegungen und unseren Plänen berichtet. Und da wir in letzter Zeit niemanden neues mehr aufgenommen haben, muss es jemand sein, der schon längere Zeit dabei ist.«
Samyl hatte die Lippen zusammengekniffen, während sein Bruder ihm diese niederschmetternde Analyse vortrug. Das alles hätte ihn nicht halb so sehr beunruhigt, wenn er nicht selbst auf exakt die gleichen Schlussfolgerungen gekommen wäre.
»Bedauerlicherweise habe ich keine Ahnung, wer dieser Jemand sein könnte«, sagt er. »Du vielleicht?«
»Wenn dem so wäre, dann wärst du der Erste, der davon erführe. Oder möglicherweise«, Hauwerd ließ in einem entschieden unpriesterlichen Grinsen die Zähne aufblitzen, »der Zweite.«
»Du musst wirklich unbedingt vergessen, dass du früher einmal den Tempelgardisten angehört hast!«, mahnte Samyl ihn. »Direktes Vorgehen ist nicht immer das Beste, was man tun kann. Auch wenn ich in diesem Falle zugeben muss, ich wäre selbst ernstlich in Versuchung geführt.«
»Das ist ja alles schön und gut. Aber da wir nun einmal nicht wissen, von wem wir hier reden: Was machen wir denn nun?«
»Ich weiß es nicht«, gab Samyl zu. »Ich weiß bloß, dass wir entschieden zu viel Zeit damit verbracht haben, uns unserer Aufgabe zu verschreiben, als dass wir jetzt einfach die Flucht ergreifen könnten. Ich bin nicht bereit, Gottes Kirche Männern wie Clyntahn und Trynair zu überlassen, Hauwerd! Wenn ich schon sterben muss, gibt es deutlich schlechtere Gründe als diesen.«
»Zweifellos. Aber es gibt auch deutlich bessere Arten zu sterben«, versetzte Hauwerd grimmig, als er an das Schicksal Erayk Dynnys' denken musste.
»Ja, das ist wahr. Bedauerlicherweise haben wir uns ja wohl gerade darauf geeinigt, dass Clyntahn uns niemals so viel Spielraum lassen würde, wenn er nicht jemanden in unseren Reihen hätte. Er behält uns im Auge, und wir können nun einmal nicht alle Mitglieder des ›Kreises‹ warnen, ohne dass auch Clyntahns Spion davon erfährt. Und das bedeutet, Clyntahn wird sofort davon erfahren, wenn wir versuchen, die anderen auf die Gefahr aufmerksam zu machen.«
»Sind wir es ihnen nicht trotzdem schuldig, sie zu warnen, was auch immer dann geschehen mag?« Hauwerds Miene verriet unendliche Besorgnis, und Samyl nickte.
»Natürlich! Aber wir können es einfach nicht tun.«
»Und was können wir dann tun?«
»Ich habe bereits damit angefangen, alles zu tun, was ich kann«, gab Samyl zurück. »Unter dem einen oder anderen Vorwand schaffe ich gerade so viele unserer jüngeren Mitglieder aus Zion heraus, wie das irgendwie möglich ist. Ich musste mir zwar einiges einfallen lassen, bis ich genügend Routine-Aufgaben gefunden hatte, um sie fortschicken zu können, obwohl der Winter vor der Tür steht. Aber bislang haben schon mehr als ein Dutzend unserer Bischöfe und Oberpriester die Stadt verlassen. Und alle haben Aufgaben erhalten, die sie bis weit nach dem ersten Schnee von der Stadt fernhalten werden. Ich weiß nicht, ob mir auch noch etwas einfallen wird, wie ich Erzbischöfe aus der Stadt schaffen kann, ohne dass Clyntahn so misstrauisch wird, dass er einfach früher zuschlägt. Cahnyr ist wohl die einzige Ausnahme; schließlich ist es allmählich Zeit für seinen winterlichen Gemeindebesuch in Gletscherherz. Aber solange du und ich
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