Caylebs Plan - 6
Stein schabte ... aber vielleicht war auch das nur Einbildung. Um den Wachposten jedenfalls würde er sich keine Gedanken machen müssen. Mahntyn, der auf Wystahns Befehl hin den Mann auf dem Felsblock ausschalten würde, war der Beste für diese Aufgabe. Schließlich war er nicht nur leise und umsichtig, sondern hatte den Corisandianer auch schon ausgemacht und sich sicherlich gleich überlegt, wie er ihn am besten erreichen könnte. Der Mann, der gerade Tee kochte - oder was immer er auch trieb -, war im Schein des Lagerfeuers leicht zu entdecken. Falls der Bursche beim Kochen auch noch in die Flammen geschaut hatte, war er im Finsteren der Nacht gänzlich blind. Die beiden anderen schliefen in ihren Zelten. Keiner dieser drei Männer würde wohl bemerken, wenn sich jemand an sie anschlich. Der Wachposten hingegen saß im Dunkeln; seine Augen hatten sich an die Nachtschwärze längst gewöhnt. Angesichts der Aufgabe, die er zu erfüllen hatte, würde er zudem auch hellwach und aufmerksam sein. Natürlich waren Soldaten eben auch nur Menschen, und da bei den gegebenen Lichtverhältnissen nicht einmal die Erzengel selbst mehr als wenige hundert Schritt weit ins Landesinnere schauen könnten, war der Mann vermutlich nicht so wachsam, wie das eigentlich von ihm erwartet wurde. Darauf allerdings wollte sich Edvarhd Wystahn nicht verlassen. Und wenn der Corisandianer tatsächlich aufmerksam seine Pflichten erfüllte, dann würde es deutlich schwieriger werden, sich an ihn anzuschleichen als an seine Kameraden.
»Also gut«, sagte der Unteroffizier zu den Männern, die er nicht zusammen mit Mahntyn fortgeschickt hatte, »dann wollen wir die Burschen mal wecken gehen!«
Kaiser Cayleb trat auf das Achterdeck der Kaiserin von Chans und blickte zum Himmel hinauf. Langsam näherten sich von Osten feine Wolkenschleier. Doch es war unverkennbar, dass sie hoch oben am Himmel trieben und sehr dünn waren. Es war etwas gänzlich anderes als die dichten Sturmwolken, die ihnen allen während der letzten Monate nur allzu vertraut geworden waren. Die Sterne schimmerten über ihnen. Aber die feinen Wolkenfäden wirkten bereits hellgrau, als spähe die Sonne schon über den Rand der Welt hinweg. Die Nacht fühlte sich an, als nahe allmählich der Morgen. Respektvoll hielten Captain Gyrard und seine Offiziere Abstand, als ihr Kaiser mit großen Schritten an die Heckreling trat und achteraus blickte. HMS Dauntless folgte dem Flaggschiff dichtauf, und es war mittlerweile tatsächlich eindeutig leichter, sie auszumachen, als zuvor.
Captain Athrawes war in ein leises Gespräch mit Captain Gyrard vertieft gewesen, als der Kaiser an Deck gekommen war. Nun nickte der Seijin Gyrard kurz zu, überquerte das Deck und bezog hinter Cayleb Stellung. Dabei verschränkte er die Hände hinter dem Rücken, als warte er respektvoll ab.
Noch einige Augenblicke lang inspizierte der Kaiser den Himmel, die See und den Wind, dann wandte er sich seiner persönlichen Leibwache zu.
»Ja?«, fragte er leise.
»Ja«, stimmte Merlin zu, ebenso leise, und deutete eine Verneigung an.
Niemand, dessen Gehör nicht besser gewesen wäre als das Merlins, hätte diesen kurzen Wortwechsel mit anhören können. Schließlich gab es hier die unausweichliche Lautkulisse eines Segelschiffes unter voller Fahrt. Doch es sollte auch niemand zuhören. Obwohl der Kaiser keine Miene verzog, war ihm anzumerken, dass sich seine Stimmung aufhellte.
Für Merlin galt das nicht. Doch er hatte ja bereits gewusst, was Cayleb erst erfragen musste. Die Besatzungen der Boote, die Aufklärer-Schützen, hatte man sorgfältig darüber informiert, wohin sie sich wenden sollten, sobald sie erst an Land wären. General Chermyn und seine Offiziere waren alle an Orte geschickt worden, an denen Wachposten zu erwarten gewesen waren - an Orte nämlich, an denen Seine Majestät, Kaiser Cayleb, Wachen aufgestellt hätte, um seine Küste zu sichern, wäre er an Sir Koryn Gahrvais Stelle gewesen und hätte sich ganz besonders viel Sorgen gemacht.
Einige der Marines waren der Ansicht, der Kaiser übertreibe mit seinen Vorsichtsmaßnahmen. Andere hatten sich insgeheim gefragt, ob ihr Kaiser, so groß sein Geschick als Admiral auch sein mochte, wohl auch als Landratte erfahren genug sei, anhand einer Karte geeignete Aussichtspunkte zu erkennen. Doch jeder einzelne dieser Zweifler war klug genug gewesen, seine Meinung für sich zu behalten. Cayleb hatte seine Glaubwürdigkeit zu steigern gewusst, indem
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