Caylebs Plan - 6
vermutlich nicht anders entschieden. Aber Cayleb war so gut informiert, dass er von einem möglicherweise fatalen Fehler in Gahrvais Kommandokette wusste. Aus diesem Grund hatte er Merlin gebeten, jeden einzelnen Beobachtungsposten der Corisandianer aufzuspüren. Merlin hatte deren Verbindungslinien skizziert und die Stellungen der Semaphoren ermittelt, die als Zentralknotenpunkte dieser Verbindungslinien fungierten. Anhand dieser Informationen hatte Cayleb die nächtlichen Anlandungen geplant, in deren Rahmen Sergeant Wystahn und seine Männer corisandianische Strände erreicht hatten.
Sorgsam hatte Cayleb darauf geachtet, auch einige ›mutmaßliche Beobachtungsposten‹ zu benennen. In Wahrheit wusste er genau, dass dort niemand postiert war. Und umgekehrt hatte er auch bewusst einige Wachposten ausgelassen, obwohl er von deren Existenz wusste - allerdings waren das Wachposten, die ihre Berichte stets über einen der Zentralverbindungsknoten weiterleiteten und nicht etwa unmittelbar an Gahrvais Hauptquartier. Es wäre gänzlich undenkbar gewesen, mit widernatürlicher Unfehlbarkeit wirklich jeden einzelnen Beobachtungsposten anzugreifen, und ebenso wenig konnte sich Cayleb leisten, nicht wenigstens hier und da einige seiner Truppen buchstäblich ins Leere laufen zu lassen. Er musste allerdings darauf hoffen, niemand würde bemerken, dass es sich bei den ›übersehenen‹ Posten ›zufälligerweise‹ genau um die handelte, die niemandem mit Hilfe von Signalen berichten konnten, was sie beobachtet hatten. Gegen Boten und Kuriere konnte Cayleb natürlich nichts unternehmen. Doch von jeder der noch verbliebenen Positionen aus würde es zumindest mehrere Stunden dauern, bis Meldeläufer Gahrvai unmittelbar Bericht erstatten könnten. Und das setzte schon voraus, dass der betreffende Kurier schlau genug war zu begreifen, was vor sich ging, und sofort zum Talbor-Pass lief, statt erst noch zu überprüfen, warum der benachbarte Wachposten nicht den Eingang der abgesetzten Meldungen bestätigte.
Gahrvai in den Rücken zu fallen und zuvor seine Warnkette auszuschalten, auf die er sich verließ, war natürlich nicht die ideale Lösung des Problems. Es war lediglich eine Lösung, die nicht einmal der weiseste und gerissenste Kommandeur des Gegners hätte vorausahnen können.
Gahrvai ist ein derart achtbarer Gegner, dass er wirklich etwas Besseres verdient, als derart ausgetrickst zu werden, dachte Cayleb. Ich komme mir vor, als würde ich mogeln. Aber wie Merlin so schön sagt: Wenn man nicht mogelt, strengt man sich nicht genug an.
Der Kaiser wandte den Blick nach Osten und suchte mit den Augen den Horizont ab. Nun war es unverkennbar, dass sich der Himmel tatsächlich aufhellte: Hinter der Dauntless waren weitere Galeonen auszumachen. Wenn die Sturmboote erst einmal die Strände erreicht haben, wird das Licht für meine Zwecke voll und ganz ausreichen, entschied er. Er überquerte mit großen Schritten das Achterdeck und ging auf Captain Gyrard zu. Das Klacken seiner Absätze auf den taufeuchten Holzplanken war der einzige Laut, der nicht dem Wind oder den Segeln geschuldet war, und der Kommandant des Flaggschiffes nahm respektvoll Haltung an, als Cayleb vor ihm stehen blieb.
»Also gut, Captain Gyrard«, sagte der Kaiser förmlich. »Setzen Sie das Signal!«
»Aye aye, Euer Majestät.« Zum militärischen Gruß legte Gyrard die Hand an die Schulter und nickte dann Lieutenant Lahsahl zu.
Einen kurzen Moment später rauschten an Bord der Kaiserin von Chans leuchtende Signal-Laternen bis zur Spitze des Besan empor.
»Ist das nicht ein herrlicher Anblick?«, murmelte Edvarhd Wystahn in sich hinein.
Er stand auf der Felsnase, auf der in der vergangenen Nacht der corisandianische Wachposten gekauert hatte, und musste sich eingestehen, dass der Bursche einen atemberaubenden Blick auf die funkelnden Wellen des Weißpferd-Kanals gehabt hatte. Doch vorerst gehörte Wystahn dieser Anblick ganz allein. Er vermutete, der Vorbesitzer dieses Aussichtspunktes wäre viel unglücklicher als er ob des Anblicks, der sich ihm auf den Weiten der See bot.
Die Transport-Galeonen lagen bereits vor Anker oder drehten gerade bei, um sich von ihren Beibooten zum Ufer ziehen zu lassen. Die Sturmboote mit ihren flachen Schiffsböden hatten die Männer bereits an Land gebracht, die an Bord eben dieser Fahrzeuge den weiten Weg von Dairos hierher zurückgelegt hatten. Na, die werden mal froh sein, endlich fest'n Boden unter'n Füßen zu
Weitere Kostenlose Bücher