Cécile
meisten aber begnügten sich mit dem hellen Scheine, den der Mond gab.
»Wollen wir hinüber?« fragte der Oberst.
Aber Cécile war dagegen. Der Weg drüben sei doch mutmaßlich derselbe, den sie schon am Vormittage gemacht hätten, und sie habe keine Sehnsucht, noch einmal an Todtenrode vorüberzukommen.
»Also diesseits!«
Und damit lenkte St. Arnaud in einen schluchtartigen Weg ein, der in ziemlicher Steile zu dem zwischen Treseburg und Thale sich ausdehnenden Plateau hinaufstieg.
Oben war nichts als Gras und Acker, zwischen denen ein schmaler Weg lief, nur gerade breit genug, um in gleicher Linie nebeneinander bleiben zu können. Die Schatten aller drei fielen vorwärts auf den wie Silber blitzenden Weg, und diesem ihrem Schatten ritten sie nach. Meist im Schritt. Die Luft ging kalt, und Cécile begann zu frösteln, weshalb ihr Gordon ein Plaid reichte, das er bis dahin über die Kruppe seines Pferdes geschnallt hatte.
»Nimm's nur«, sagte St. Arnaud. »Herr von Gordon wird dich kunstgerecht damit drapieren; das ist er seinem Clan Gordon schuldig. Und dann haben wir dich als Hochlandserscheinung zwischen uns. Lady Macbeth oder dergleichen. Nur der Reithut fällt aus dem Stil.«
Aber Cécile beschränkte sich darauf, zur Eil anzutreiben, und nicht lange, so war eine Wegkreuzung erreicht, von der aus man, in Entfernung von wenig mehr als fünfzig Schritt, eines Denkmals ansichtig wurde.
»Was ist das?« sagte der Oberst und ritt auf das Denkmal zu, während Gordon und Cécile langsameren Schritts ihren Weg fortsetzten.
»Lockt Sie's nicht auch?« fragte Cécile mit einem Anfluge von Spott und bittrer Laune. »St. Arnaud sieht mich frösteln und weiß, daß ich die Minuten zähle. Doch was bedeutet es ihm?«
»Und ist doch sonst voll Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme.«
»Ja«, sagte sie langsam und gedehnt. Und eine Welt von Verneinung lag in diesem Ja. Gordon aber nahm ihre lässig herabhängende Hand und hielt und küßte sie, was sie geschehen ließ. Dann ritten beide schweigend nebeneinander her, bis sich St. Arnaud ihnen wieder gesellte.
»Was war es?« fragte Cécile.
»Das Denkmal eines alten Oberforstmeisters.«
»Den hier ein Wilddieb erschossen?«
»Nein, weniger sensationell. Er starb ruhig in seinem Bett.«
»Und hieß?«
»Pfeil.«
»Ah, Pfeil. Graf Pfeil?«
»Nein«, lachte St. Arnaud, »bloß Pfeil. Die Natur hat mitunter ihre demokratischen Launen. Übrigens war er, aller Bürgerlichkeit ungeachtet, eine große Forst-Autorität, und einer unsrer berühmtesten landwirtschaftlichen Sätze rührt von ihm her.«
»Und welcher, wenn ich fragen darf?«
»Daß die Vermählung von Sumpf und Sand unter Umständen eine besonders feine Kultur schaffe. Sumpf an und für sich sei nicht zu gebrauchen und Sand an und für sich auch nicht, aber daß der liebe Gott in seinem notorischen Lieblingslande Mark Brandenburg beide dicht nebeneinandergelegt habe, das sei für eben diese Mark und natürlich auch für die Menschheit eine besondere Gnade gewesen, und die ganze preußische Geschichte sei sozusagen aus diesem Gnadenakt hervorgegangen. Da hast du den berühmten Pfeilschen Agrikultur-Satz, der vielleicht ein bißchen zu geistreich ist. Denn unvermischter Pyritzer Weizacker bleibt schließlich immer das Beste, jedenfalls besser als die Vermählung von Sumpf und Sand. Aber nun Trab, daß wir warm werden und vorwärts kommen.«
Und im Fluge ging es weiter über das Plateau hin, abwechselnd an Bäumen und Felszacken und dann wieder an Kreuzwegen und Wegweisern vorüber. An einem stand: »Nach dem Hexentanzplatz«, und St. Arnaud wies darauf hin und sagte: »Wollen wir einen Contre mitmachen? Oder bist du für Extratouren?«
Es klang übermütig und spöttisch, und sie bog sich bei seiner Annäherung unwillkürlich zur Seite.
Der Oberst aber war in der Laune, sich gehenzulassen, und fuhr in dem einmal angeschlagenen Tone fort: »Sieh nur, wie das Mondlicht drüben auf die Felsen fällt. Alles spukhaft; lauter groteske Leiber und Physiognomien, und ich möchte wetten, alles, was dick ist, heißt Mönch, und alles, was dünn ist, heißt Nonne. Wahrhaftig, Herr von Gordon hatte recht, als er den ganzen Harz eine Hexengegend nannte.«
Gleich danach waren sie bis an den Vorsprung gekommen, von dem aus sich der Plateauweg wieder senkte. Die Pferde wollten in gleicher Pace vorwärts, aber ihre Reiter, überrascht von dem Bilde, das sich vor ihnen auftat, strafften unwillkürlich die Zügel. Unten im
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