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Cécile

Cécile

Titel: Cécile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Tal, von Quedlinburg und der Teufelsmauer her, kam im selben Augenblicke klappernd und rasselnd der letzte Zug heran, und das Mondlicht durchleuchtete die weiße Rauchwolke, während vorn zwei Feueraugen blitzten und die Funken der Maschine weit hin ins Feld flogen.
    »Die Wilde Jagd«, sagte St. Arnaud und nahm die Tête, während Gordon und Cécile folgten.

 
Sechzehntes Kapitel
     
    Als sich unsere Reiter eine Viertelstunde später dem Hotel näherten, sahen sie deutlich, daß der letzte Zug viel Gäste gebracht haben mußte, denn der große, nach der Parkwiese hinaus gelegene Balkon zeigte noch das bunteste Leben. Alles stand in Licht, und in dem Lichte hin und her bewegten sich die Kellner. Einer trug eine große, hoch aufgebaute Teemaschine, was zweifellos bedeutete, daß Engländer oder Holländer angekommen sein mußten.
    »Sieh, Pierre«, sagte Cécile, die sich angesichts dieses lachenden Bildes rasch wieder erheiterte. »Das ist hübsch, daß wir noch Leben vorfinden.«
    Und gleich danach hielten alle drei vor dem Vorbau, hoben sich aus den Sätteln und traten in das Vestibül. Eine Welt von Koffern und Reisetaschen lag hier bunt durcheinander, und als Cécile die Treppe hinaufstieg, tat ihr die Wärme wohl, die die Gasflammen ausstrahlten.
    »Ich denke, wir nehmen den Tee noch gemeinschaftlich auf dem Balkon. Nicht wahr, Herr von Gordon?«
    Und wirklich, binnen kürzester Frist saßen unsere Freunde mit unter den Gästen, und zwar an demselben Tisch, an dem sich ihre Bekanntschaft, vor wenig Tagen erst, eingeleitet hatte. Cécile, die sich inzwischen umgekleidet, trug, halb vorsichts-, halb eitelkeitshalber, ein mit Pelz besetztes Jacquet, das ihr vortrefflich stand und mit dazu beitrug, sie zum Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit zu machen. Nichts davon entging ihr, und ihre wohlige Stimmung wuchs bis zu dem Moment hin, wo sie, nach eingenommenem Tee, den nur noch von wenig Gästen besetzten Balkon am Arme St. Arnauds verließ.
     
    Es schlug elf vom Dorfe her, als Gordon in sein einfaches, im linken Flügel gelegenes Zimmer trat, um sich's hier, wie seine Gewohnheit war, schon vor dem Schlafengehen in einer Sofaecke bequem zu machen. Er war aber noch viel zu sehr bestürmt und aufgeregt, um sich dieser Bequemlichkeit länger als eine Minute hingeben zu können, und so stand er wieder auf, um zu dem schon offenstehenden Fensterflügel auch noch den zweiten zu öffnen. Unter ihm lag ein mit Levkojen und Reseda besetztes Rondel, und er sog den in einem starken Strom heraufziehenden Duft begierig ein. Alles war still; die Bosquets, die den Gartenstreifen einfaßten, standen in tiefem Schatten, und nur an einer einzigen, dem Zimmer der St. Arnauds gegenübergelegenen Stelle zeigte sich der Schatten durch einen Lichtstreifen unterbrochen. Gordon sah darauf hin, als ob er die Geheimnisse der kleinen Welt, die Cécile hieß, aus diesem Lichtstreifen herauslesen wolle. Dann aber überkam ihn ein Lächeln, und er sagte zu sich selbst: »Ich glaube gar, ich werde der Narr meiner eigenen Wissenschaft und verfalle hier in Spektralanalyse. Poor Gordon! Die Sonne mag ihre Geheimnisse herausgeben, aber nicht das Herz. Und am wenigsten ein Frauenherz.«
    Unter solchem Selbstgespräche trat er vom Fenster zurück und ließ alles, was der Tag gebracht, noch einmal an seiner Seele vorüberziehen. Wieder vernahm er das heitere Lachen, mit dem sie bei Tisch die Schmerlen-Reime begleitet hatte, wieder sah er das mondbeschienene Plateau, darauf sie heimritten, hörte wieder das langgedehnte »Ja«, das doch ein kurzes »Nein« war, und fühlte noch einmal den erwidernden Druck ihrer Hand. Und dabei kehrten ihm alle Betrachtungen und Fragen zurück, denen er schon in seinen Zeilen an die Schwester Ausdruck gegeben hatte. »Was ist es mit dieser Frau? So gesellschaftlich geschult und so naiv! Sie will mir gefallen und ist doch ohne rechte Gefallsucht. Alles gibt sich mehr aus Gewohnheit als aus Coquetterie. Sie hat augenscheinlich in der vornehmen Welt gelebt, vielleicht in einer allervornehmsten, und hat Auszeichnungen und Huldigungen erfahren, aber wenig echte Neigung und noch weniger Liebe. Ja, sie hat ein Verlangen, eine Sehnsucht. Aber welche? Mitunter ist es, als sehne sie sich, von einem Drucke befreit zu werden oder von einer Furcht und innerlichen Qual. Ist ihr St. Arnaud diese Furcht? Ist er ihr eine Qual? Nein; er hat nichts von einem Quälgeist, trotzdem sie heute seine Courtoisie zu bestreiten schien. Aber das

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