Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
ergehen lassen.
„Was denn, heute Morgen keinen Mordanschlag zu melden?“ Vulso riss ungläubig die Augen auf, als sie am darauf folgenden Morgen „Keine besonderen Vorkommnisse!“ meldeten. Die anderen Rekruten sparten ebenfalls nicht mit Spott.
„Vielleicht waren das ein paar Schwuchteln aus der Vorstadt auf der Suche nach einem hübschen Arsch!“, höhnte jemand auf dem Weg zum Waffentraining.
Nicht besonders hilfreich war es, dass Antinius zwei Tage nach dem Vorfall, mitten in der Nacht, laut ins Zimmer polterte. Lucius fuhr nur erschrocken im Bett hoch, aber Mellonius war am Rande einer Panik. Fast wäre er aus dem Hochbett gefallen, in das er nach dem Überfall umgezogen war.
„’schuldigung!“, brummte der Optio. „Hab mich in der Tür geirrt!“
„Sie werden uns töten!“, murmelte Mellonius, nachdem die Tür sich hinter dem unerwünschten Besucher geschlossen hatte. Am nächsten Morgen sah er übernächtigt aus, weil er nach dem Vorfall nicht mehr geschlafen hatte. In den folgenden Nächten fuhr Mellonius beim geringsten Geräusch mit einem Schrei im Bett hoch und weckte Lucius jedes Mal gleich mit. Im Gegensatz zu Mellonius konnte Lucius jedoch schnell wieder einschlafen. Die Angst hielt seinen Kameraden wach, so dass er mit seinen Aufgaben immer weniger zurechtkam.
Wenn morgens zum Wecken geblasen wurde, fühlte sich auch Lucius, als ob eine Kohorte über ihn hinweggetrampelt wäre. Er musste sich immer mehr anstrengen, um seine Aufgaben zu bewältigen. Mellonius war bald kaum noch in der Lage, seine zu erledigen. Er schlief bei jeder Gelegenheit ein, sogar beim Reinigen seiner Waffen. Beinahe bei jedem Waffen- und Ausrüstungsappell wurden Vulso und Antinius fündig. Mal fehlten Nägel in den Sandalen, mal waren die Waffen dreckig, Ausrüstungsgegenstände fehlten und das Kettenhemd wies Roststellen auf. Jeder Fehltritt brachte Mellonius Strafdienste ein und zum Schluss musste er einen halben Tag mit einem Ferkel auf dem Arm neben einem Pfahl auf dem Forum stehen. An dem Pfahl stand ein Schild mit dem Hinweis: „Wir beide hausen wie die Schweine“.
Mellonius tat Lucius leid, aber was sollte er machen? Mellonius verwandelte sich vor seinen Augen in ein Nervenbündel mit Verfolgungswahn. Als ihm ein Rekrut nach einem Übungsmarsch seine Feldflasche anbot, zuckte er zurück. „Vielleicht will er mich vergiften!“, murmelte er Lucius zu und sein Blick irrte hektisch durch die Umgebung.
Die Situation eskalierte schließlich vollends. Während einer Nachtwache schlug Mellonius plötzlich Alarm und versetzte das ganze Lager in Aufruhr. Zur Rede gestellt, schwor er Stein und Bein, dass sich jemand an ihn herangeschlichen hätte. Vulso ordnete an, dass Mellonius einen weiteren Tag am Schandpfahl stehen musste. Doch damit war die Sache nicht ausgestanden. Eine ganze Legion war aus dem Schlaf geschreckt worden, weil ein Rekrut hysterisch um Hilfe geschrien hatte. Und nicht nur das: Der Alarm hatte sich ausgebreitet und sogar für Unruhe in Lugdunum gesorgt.
Legat Varus wurde zu Augustus bestellt und zitierte nach seiner Rückkehr den Primipilus Canidius zu sich, um den erteilten Verweis umgehend weiterzugeben. Canidius wiederum machte Vulso verantwortlich, der die ganze Centurie antreten ließ: „Ein einzelner verblödeter Rekrut hat unsere Centurie und unsere ganze Legion in Verruf gebracht und zum Gespött gemacht!“
Alle Augen wanderten bösen Blickes zu Mellonius. Lucius schluckte schwer, als er feststellte, dass man ihn nicht weniger unfreundlich ansah. Würde er für Mellonius’ Fehler mitbezahlen müssen?
Vulsos Strafpredigt hatte sich gewaschen. Lucius dachte schon, er würde gar nicht mehr aufhören, Mellonius und den Rest der Centurie anzuschreien. Mellonius stand wie betäubt da und schien nicht mehr viel um sich herum wahrzunehmen. Wie lange würde er noch durchhalten? Lucius ertappte sich bei dem Gedanken, dass er wünschte, Mellonius würde einfach freiwillig aufgeben. Seine Tage in der Legion waren sowieso gezählt.
Bei seiner nächsten Wache wurde Mellonius schlafend erwischt und von Vulso umgehend zu Valens geschleift. Valens tobte und brüllte, dass man es auf dem ganzen Forum hörte. Das wiederum rief Quirinius, den ranghöchsten Tribun, auf den Plan. Als er die Ursache des erneuten Aufruhrs erfuhr, fackelte er nicht lange. „Werft ihn raus!“, war sein kurzer Kommentar und man nahm den Befehl beinahe wörtlich. Mellonius wurde so schnell wie möglich aus dem Lager
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