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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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in die Küche hinunter; er
wollte sich von dem Streit nicht das geringste entgehen lassen. Als er mit den
Tassen in der Hand wieder hereineilte, fragte er: »Also, wo wart ihr gerade?«

17
  EIN HALBES JAHRHUNDERT
KAUFMANNSLEBEN
    Cevdet saß im Garten auf dem Korbstuhl
unter der Kastanie und sah, ohne sich dabei vorzubeugen, einer Ameise zu, die
zu seinen Füßen krabbelte. Obgleich noch nicht Sommer, war es schon ziemlich warm.
Man schrieb den 19. Mai, es war das Fest der Jugend. Gleichmäßig und geduldig
wärmte die Sonne den Garten. Die Familie hatte zu Mittag gegessen und sich danach
draußen um Cevdet herum versammelt.
    Wie stets war zuerst Nigân gekommen
und hatte sich neben Cevdet gesetzt. Sie fragte sich, warum Cevdet so
unverwandt auf den Boden sah, bemerkte aber wohl die Ameise nicht, denn sie
sagte dann lediglich, das Dienstmädchen habe wieder mal die Schuhe nicht
richtig geputzt. Das vernahm auch Osman, der gerade in seiner
nachdenklich-stolzen Art herantrat, und so blickte auch er auf seine Schuhe. Er
hatte schon wieder eine Zigarette im Mund, durfte er doch rauchen, wann und
wieviel er wollte. Danach kam Nermin, richtete noch, bevor sie sich setzte, ein
paar Ermahnungen an ihre Kinder, die sich pflaumenkauend in den Garten
trollten. Schließlich traten aus dem Eingang zur Küche Perihan und Refık
heraus. Perihans Bauch war geradezu besorgniserregend gewölbt. Cevdet kam es
bei seinem Anblick vor, als hielte er etwas Zerbrechliches in der Hand, und
beklommen achtete er auf jede Bewegung Perihans, auf jedes Zittern ihrer
Stimme. Als Perihan schließlich saß, war auch Nigân beruhigt und sagte zu
Cevdet: »Hast du gesehen, eine von deinen seltsamen Blumen ist aufgeblüht!«
    Cevdet nickte. Wie hieß die Blume
noch mal? Ocimum Dingsbums … »Ocimum granimus!« sagte er schließlich aufs
Geratewohl und bemerkte erleichtert, dass ihm das jedermann abnahm. Schon am
Morgen war es ihm so gegangen, dass Nigân ihn nach einem Pflanzennamen gefragt
hatte und er notgedrungen einen erfunden hatte. Um zu beweisen, wie gut sein
Gedächtnis noch war, lernte er die lateinischen Namen auswendig, und jeder
bewunderte ihn dafür oder tat zumindest so. Wenn ihm dann der Name seiner Frau
oder eines seiner Söhne nicht einfiel, lachte allerdings mittlerweile schon
niemand mehr.
    »Was bin ich müde!« seufzte Nermin.
»Den ganzen Vormittag war ich mit den Truhen beschäftigt!« sagte sie zu Osman.
    Obwohl schon lange Frühlingswärme
herrschte, waren noch immer nicht alle Sommersachen aus den Truhen hervorgeholt
worden und alle Wintersachen darin verstaut. Dabei galt es allmählich schon,
sich auf den Umzug in die Sommerresidenz auf Heybeliada vorzubereiten. Zum
erstenmal in seinem Leben hatte Cevdet die Ankunft des Frühlings nur vom Inneren des Hauses
aus erlebt. Man hatte die empfindlichen Topfpflanzen wieder hinaus in den
Garten gebracht, die Korbstühle repariert, einige Zimmer im Erdgeschoss frisch
gestrichen, den Efeu an der Hintermauer, durch den so viele Insekten ins Haus
kamen, ordentlich zurückgeschnitten, den Garten gründlich gesäubert, und durchs
ganze Haus strömte jener eigenartige Naphthalingeruch, an den Cevdet sich nicht
gewöhnen konnte.
    Von drinnen ertönte freudloses
Klaviergeklimper.
    »Muss das gleich nach dem Essen
sein?« fragte Nigân. Ihr wäre es viel lieber gewesen, wenn Ayşe, wie all
ihre Mitschüler, zum Fest der Jugend auf den Taksimplatz gegangen wäre, aber
sie hatte sich nicht durchsetzen können, nicht zuletzt, weil Cevdet auf seiten
seiner Tochter war.
    Cevdet wollte schon sagen: »Soll sie
doch spielen!«, aber dann ließ er es. Er suchte die Ameise von vorhin wieder,
doch sie war weg. So lehnte er sich zurück und horchte auf das, was die anderen
sagten, aber er verstand kaum etwas, denn Refık und Perihan flüsterten
miteinander, und Osman brummte nur vor sich hin.
    Als der Kaffee serviert wurde,
zündete Cevdet sich eine Zigarette an, worauf Nigân ihm einen missbilligenden
Blick zuwarf. Die drei Zigaretten, die er am Tag noch rauchte, versuchten sie
ihm jetzt auch noch wegzunehmen. »Wozu eigentlich?« dachte Cevdet und lachte in
sich hinein. »Für meine Gesundheit! Und wozu ist die gut? Damit ich länger lebe
… Und wozu soll ich das, wenn ich nicht mehr rauchen darf?«
    »Woran denken Sie denn?« fragte ihn
da Nermin.
    Erst wollte er sich in eine
melancholische, tiefe Gedanken verheißende Pose retten: »Ach, an nichts!« Dann
aber ärgerte er sich selber über dieses

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